Obgleich das demokratische Ideal uneingeschränkt bejaht wird, stehen die Systeme, die sich auf das Ideal berufen, immer heftiger in der Kritik. Doch diese Differenz ist nicht so neu, wie sie scheint: Historisch betrachtet ist die Demokratie immer schon als Versprechen und Problem zugleich in Erscheinung getreten. Denn der Grundsatz, Regierungen durch den Wählerwillen zu legitimieren, ging stets mit Misstrauensbekundungen der Bßrger gegenßber den etablierten Mächten einher.
Die Gegen-Demokratie ist nicht das Gegenteil von Demokratie, sie ist Bestandteil der parlamentarisch-repräsentativen Demokratie, somit permanenter Ausdruck von Misstrauen gegenĂźber den gewählten Institutionen. Gleichzeitig ist sie aber auch Ausdruck des politischen Engagements der BĂźrger_innen jenseits der Wahlurnen. Der Begriff Gegen-Demokratie hebt das WidersprĂźchliche des Misstrauens hervor, das einerseits die Wachsamkeit der BĂźrger_innen fĂśrdert und auf diese Weise dazu beiträgt, die staatlichen Instanzen fĂźr gesellschaftliche Forderungen empfänglicher zu machen, das andererseits aber auch destruktive Formen von Ablehnung und Verleumdung begĂźnstigen kann. Das heiĂt: Die Gegen-Demokratie bestätigt nicht nur, sie kann auch widersprechen.
Rosanvallon entfaltet die verschiedenen Aspekte von Gegen-Demokratie und schreibt ihre Geschichte. Nicht zuletzt plädiert er dafßr, die ständige Rede von der Politikverdrossenheit zu ßberdenken. Denn es ist eher von einem Wandel als von einem Niedergang des bßrgerschaftlichen Engagements zu sprechen. Verändert haben sich lediglich das Repertoire, die Träger und die Ziele des politischen Ausdrucks. Die Bßrger_innen haben inzwischen viele Alternativen zum Wahlzettel, um ihre Sorgen und Beschwerden zu artikulieren. Die politische Form der Gegen-Demokratie sollte im Diskurs der Politikverdrossenheit nicht unterschätzt, sondern aktiv genutzt werden.