Traditionell wurde SexualitĂ€t als Trieb der Natur aufgefasst, dem aus moralischen GrĂŒnden Einhalt geboten werden mĂŒsste. Dabei hatte der Wille des Menschen als eine Art Zuchtmeister die Peitsche zu schwingen, um der sexuellen "Unzucht" Herr zu werden. Die "sexuellen Revolutionen" im 20. Jahrhundert haben zwar den Zuchtmeister zurĂŒckgepfiffen, aber die Vorstellung vom "natĂŒrlichen" Sexualtrieb beibehalten keine und diese eher noch radikalisiert: Befreiend und gesund schien nun die von konventionellen Normen ungehemmt praktizierte SexualitĂ€t.
Der vorliegende Essay geht jedoch nicht von der (unbestreitbar vorhandenen) Macht des Naturtriebs und seiner unwillkĂŒrlichen Physiologie aus, sondern von der Macht des menschlichen Geistes, willkĂŒrlich in die physiologischen VorgĂ€nge einzugreifen und diese zu modellieren. SelbstverstĂ€ndlich sind geistigen KrĂ€ften (wie auch den körperlichen) Grenzen gesetzt. Aber wo liegen sie konkret? Wie ernsthaft versucht der einzelne Mensch, diese Grenzen auszuweiten oder sie kontrolliert zu ĂŒberschreiten? Ist der Mensch dem Geschlechtstrieb so weit ausgeliefert, dass er ihn nur um den Preis seiner VitalitĂ€t und Gesundheit unterdrĂŒcken kann? Ăhnelt das Sexualleben nicht jenem Kinderspiel von "Himmel oder Hölle", bei dem es reiner Zufall ist, wo der jeweilige Spieler landet?
Der Gedanke, dass SexualitĂ€t durch den menschlichen Geist kreativ gestaltet und so zu einer nicht versiegenden Quelle des GlĂŒcks werden kann, ist heute ebenso wenig populĂ€r, wie das Interesse, ihren mythologischen und religiösen Korrespondenzen nachzuforschen. Die vorliegende Abhandlung berĂŒcksichtigt beide Perspektiven.