Iaponia Insula
Ausgehend von der Frage, inwiefern Literatur sowohl auf gesellschaftliche Entwicklungen reagiert als auch auf diese einwirkt, geht die vorliegende Studie dieser Eigenschaft der Literatur im Falle des Bildungsromans in Japan nach. Die Abschaffung des Feudalsystems in der Meiji-Zeit (1868â1912) ermĂśglichte erstmals soziale Mobilität; junge Männer â Frauen, denen ein normatives Rollenbild oktroyiert wurde, waren davon noch ausgeschlossen â konnten eigene Lebensziele formulieren und versuchen, diese zu realisieren. Aus der Chance resultierte aber auch das Bewusstsein, zu einer Zeit groĂer politischer, sozialer und technologischer UmbrĂźche Verantwortung fĂźr das eigene Schicksal Ăźbernehmen zu mĂźssen. Bildungsromane zeigen durch mĂśgliche Bildungswege Perspektiven zur Bewältigung dieser Orientierungskrise auf. Ăbernehmen die Bildungsromane so eine Funktion fĂźr die Gesellschaft zur Zeit ihrer Entstehung, erhalten wir vom heutigen Standpunkt aus, trotz zeitlicher, räumlicher und kultureller Distanz, Einblicke in die Gesellschaft zur Romanzeit. Inwiefern wurde die Gattung in Japan adaptiert und wie reagiert das japanische literarische Feld auf diese als typisch deutsch konstruierte Gattung? Zehn repräsentative Werke des Genres, die zwischen 1900 und 2002 entstanden sind, werden genauer analysiert. Anhand dieser Titel und einer Auswahl weiterer Texte und Medienformate, die bis in die Gegenwart reichen, wird zum einen die Evolution der Gattung aufgezeigt. Zum anderen stellt die Studie den Bezug auf die gesellschaftlichen Diskurse ihrer Zeit heraus und zeigt inhaltliche und formale Merkmale auf, in denen sich japanische Bildungsromane von ihren europäischen Pendants unterscheiden.