Karl Lennerts Fallsammlung und die Etablierung biowissenschaftlicher Forschung in der Medizin: Ein unscheinbarer Karteikasten als wissenschaftsgeschichtlicher Akteur.
Die Diagnostik tumorbildender Krankheiten per mikroskopischer Gewebeuntersuchung gehört zu den Kernaufgaben in der Pathologie. In den 1960er Jahren entwickelte sich dieses Gebiet unter dem Einfluss biologischer Grundlagenforschung und moderner klinischer Krebsforschung zu einem Hotspot bei der Herausbildung und Durchsetzung biowissenschaftlicher Forschung in der Medizin.
Ulrich Mechler untersucht diesen tiefgreifenden Wandel medizinischer Krankheitsforschung anhand eines ungewöhnlichen Akteurs: Im Zentrum steht der Karteikasten des Pathologen Karl Lennerts, einem der weltweit führenden Experten für Tumorerkrankungen der Lymphknoten (1921-2012). Diese Sammlung besteht aus 5.400 Krankheitsfällen, zusammengetragen in 45 Jahren Forschungstätigkeit. In ihr manifestierte sich eine medial-strukturierte Arbeitsroutine, mit der Lennert seine facettenreiche Forschung organisierte und stabilisierte. Anhand dieses Beispiels erforscht Mechler nicht nur die Durchsetzung der biowissenschaftlichen Forschung in der Medizin, sondern auch, wie die Medien der Forschung eine Eigendynamik entfalten, die Ergebnisse mitschreiben und sogar ihre Reichweite begrenzen.