Ăberraschend fĂŒr die Ăffentlichkeit wurde im Herbst 2009 ein in seiner Ausstattung prachtvoll konzipiertes Buch veröffentlich, das seitdem als geistesgeschichtliche Sensation eingeordnet wird und dessen Wirkungen heute wie auch fĂŒr die Zukunft noch kaum absehbar sind: das Rote Buch: Liber Novus von C. G. Jung. ZunĂ€chst in einer ersten Auflage von 5.000 Exemplaren veröffentlicht, ist die weltweite Resonanz zum Roten Buch mit bis heute mehr als 100.000 verkauften Exemplaren unerwartet groĂ gewesen.
In den Jahren 1913 bis 1918 hatte sich Jung bei seiner âNachtmeerfahrtâ auf die Suche nach seinem âpersönlichen Mythosâ begeben. Adressiert an Leser in einer fernen Zukunft ist das Rote Buch das schriftliche Zeugnis dieser Suche, bei der Jung nicht nur seinen individuellen Mythos fand, sondern auch Hinweise auf einen neuen, kollektiven Mythos und einen epochalen Wendepunkt der menschlichen Bewusstseinsentwicklung, auf ein kommendes Ăon. Jungs âWeg des Kommendenâ deutet auf einen Gestaltwandel unseres Gottesbildes hin, der sich heute wohl vollzieht. Das Werk Jungs wird durch die Publikation des Roten Buches eine komplette Neuinterpretation erfahren; schon heute wird bei der LektĂŒre deutlich, in welchem Sinne Jung ein VisionĂ€r war und seine Erfahrungen auch etwas Prophetisches haben. Insofern er schreibt, dass der âGeist der Tiefeâ, den er in seinem Dialog mit dem Unbewussten persönlich erfahren und im Roten Buch beschrieben hat, auch gleichzeitig der âHerr der Tiefe des Weltgeschehensâ ist, so gehen uns Heutigen diese Erfahrungen stark an in dem Sinne, dass sie uns möglicherweise Hilfe und Navigation in den globalen Transformationsprozessen unserer Zeit zu geben vermögen.
So wie jede Epoche ihr Narrativ hat â Homers Odyssee, Dantes Göttliche Komödie, Goethes Faust oder auch Nietzsches Zarathustra â, so lieĂe sich heute spekulieren, ob nicht Jungs Rotes Buch das Narrativ, die âgroĂe ErzĂ€hlungâ, der Postmoderne sein könnte, oder etwas gewagter: das âmythopoetische Manifestâ einer postchristlichen SpiritualitĂ€t.