»Wenn du mich fragst, wo meine Heimat ist, dann muss ich dir sagen: ich weiß es nicht …« Staunend blickt die 83-jährige Sonja Berg auf ihr Leben zurück. »Dreimal musste ich emigrieren. 1918 aus Russland, 1934 aus Nazideutschland und 1962 aus dem Südafrika der Apartheid. Meine Familie ist in alle Himmelsrichtungen zerstreut – diese Emigrationen werden ein Stück von dir!«
Sonja und ihr Mann Heinz, der es »nur auf zwei Emigrationen« bringt, erzählen ihre Geschichte in den 1980er-Jahren dem damals 18-jährigen Autor. Er ist fasziniert von dem Kaleidoskop der großen und kleinen Ereignisse des 20. Jahrhunderts, das sich aus dieser Familiensaga ergibt. Es ist noch die Zeit des Kalten Krieges, viele Schauplätze der Geschichte liegen unerreichbar hinter dem Eisernen Vorhang. Die Öffnung der Grenzen fällt zusammen mit dem Lebensende des alten Ehepaars. Ihre Erzählung klingt nach wie eine Legende aus ferner Vergangenheit, zugleich sind Flucht und die Suche nach Identität im Exil unvermindert aktuelle Themen.
Dreißig Jahre später beschließt Daniel Becker, die Geschichte von Sonja und Heinz vor dem Vergessen zu bewahren. Er begibt sich auf Spurensuche, geht in Archive, nimmt Kontakt zu den überall auf der Welt verstreuten Verwandten auf, führt Interviews. Schließlich gelangt er zu Sonjas Nachlass. Aus acht großen Kisten voller Briefe wird die schon halb verloren geglaubte Erzählung wieder lebendig: das Petersburger Leben um 1900, die Russische Revolution, die abenteuerliche Flucht nach Deutschland und die Zeit im Süden Afrikas.