Böhmens Barockgotik stellt einen höchst eigenwilligen Beitrag zur mitteleuropäischen Baukunst dar. Für die Würdigung dieser Sonderentwicklung genügt es nicht, auf Dinge wie Traditionsgebundenheit der süddeutschen Steinmetzlehre oder Wünsche einzelner Bauherren hinzuweisen. Wichtig erscheint vor allem, daß es sich bei Spätgotik und Barock um zwei verschiedene Architektursysteme handelt. Das betrifft nicht nur die Formelemente, sondern auch deren regelbestimmtes Verhältnis zueinander. Zudem vollzog sich bereits zwischen Spätgotik und Renaissance im konstruktiven Denken ein Übergang vom linear bestimmten zum körperhaft aufgefaßten Architekturraum. Deshalb richtet sich die Aufmerksamkeit hinsichtlich der Wesensveränderung, die der Spätgotik im Barock widerfuhr, in erster Linie auf die gegensätzlichen konstruktiven Vorstellungsweisen der beiden Baustile. Von ihnen ausgehend werden dann die für die Barockgotik bestehenden verschiedenen Interpretationsweisen innerhalb der deutschen Kunstwissenschaft erläutert und der Gegensatz zwischen kulturwissenschaftlicher und völkischer Betrachtungsweise aufgezeigt. Dabei bleiben bezüglich letzterer die politischen Hintergründe nicht unerwähnt. Es zeigt sich, daß die hier auftretende Problematik um einiges komplexer ist, als man das zunächst vermuten würde.