Mit Verletzlichkeit ist sowohl die Bedrohung des psychischen, sozialen und somatischen Lebens gemeint als auch die Möglichkeit beziehungs- und liebesfähig zu sein. Andrea Bieler entwickelt eine leibphänomenologisch ausgerichtete Vulnerabilitätstheorie, die danach fragt, wie das Leib-Sein-Zur-Welt in fundamentaler Weise beschrieben werden kann. Dabei nimmt sie die Oszillation von Körper-Haben und Leib-Sein in den Blick sowie Phänomene, die den Leib im Zwielicht (Ambiguität), den Raum des Pathischen (Widerfahrnisse) sowie den Möglichkeitssinn leiblichen Lebens (Potenzialität) beschreiben.
Diese Nuancen fundamentaler Verletzlichkeit bettet sie in soziale Faktoren, in politische Diskurse, ethische Herausforderungen und kulturelle Repräsentationen ein.
Sie stellt das Ineinander von situativer und fundamentaler Vulnerabilität als Horizont einer Theologie der Seelsorge vor, der sowohl die Frage nach der Verletzlichkeit Gottes stellt als auch die Vielfältigkeit menschlicher Vulnerabilitätsphänomene wahrnimmt. Dabei kritisiert sie die im Christentum wirksame Apatheia-Tradition und zugleich fragt sie danach, wie ein mitleidender Gott als heilsame und verwandelnde Kraft im Leben leidender Menschen verstanden werden kann.
Ihre entfaltete Vulnerabilitätstheorie bringt sie schließlich mit zentralen Themen der Seelsorgetheorie ins Gespräch (Affekte, narrative Identität und Erzählen, Erinnern und Vergessen).