In Theodor Storms einfühlsamer Novelle Viola tricolor geht es um Verlust, Neuanfang und die schwierige Suche nach einem Platz in einer bestehenden Familie.
Rudolf, ein vierzigjähriger Witwer, hat erneut geheiratet – doch seine junge Frau Ines fühlt sich als Fremde in seinem Haus. Besonders seine Tochter Agnes, genannt Nesi, begegnet ihr mit unsicherer Zurückhaltung. Das Porträt der verstorbenen Mutter und der verschlossene, verwilderte Garten der Verstorbenen lassen Ines spüren, dass sie nur schwer aus dem Schatten der Vergangenheit treten kann. Zweifel nagen an ihr, ob sie jemals eine vollwertige Mutter für Agnes sein wird.
Als Ines schwanger wird, wächst ihre Angst: Wird ihr eigenes Kind als Fremdkörper in dieser Familie gelten? Nach der Geburt schwebt sie in Lebensgefahr und besteht darauf, ein Foto für ihr Kind anfertigen zu lassen – aus Angst, es könnte keine Erinnerung an sie behalten. Doch sie überlebt, und mit ihrer Genesung wächst auch ihr Verständnis: Die verstorbene Mutter soll für Agnes nicht in Vergessenheit geraten, sondern ihren Platz in den Erinnerungen behalten.
Ines akzeptiert schließlich, dass Liebe nicht bedeutet, Vergangenes auszulöschen, sondern es mit der Gegenwart zu verbinden. Als sie gemeinsam mit Rudolf den lange verschlossenen Garten öffnet, wird er zum Symbol für das, was war – und das, was noch kommen wird.