Mit gewohnter Lakonik und schwarzem Humor legt Evelyn Grill Zeugnis ab von der Einsamkeit in schwierigen Zeiten.
Eine alte Frau sitzt in ihrem Lehnstuhl, ihre Gedanken gehen zu ihrer Tante Paula, von der sie dieses Möbelstück geerbt hat, und zu ihrer eigenen aufgezwungenen Einsamkeit. Denn es herrscht Pandemie und sie ist zur "vulnerablen Person" erklärt worden. Als solche wird sie vorsorglich abgesondert und "keimfrei aufbewahrt", vielleicht wird sie unter dieser Schutzglocke ja hundert Jahre alt. Tante Paula hingegen ist keine fünfzig geworden, sie wurde deportiert und der Lehnstuhl ist alles, was von ihr geblieben ist. Zwischen glasklarer Erkenntnis und zunehmender Verwirrung kreist das Denken der alten Frau um das Leben, das geschützt wird, und jenes, das als "unwert" bezeichnet wird, um gesellschaftliche Gewalt – und um das Glück, von niemandem behelligt zu werden.