Der Prozess - Sven Regener liest Franz Kafka (Ungekürzt)

"Gerichtsdiener, die einem erst einmal das Frühstück wegessen, Richter, von denen die untersten unerreichbar und die obersten völlig unbekannt sind, eine Anklage, deren Inhalt keiner weiß, eine Verhaftung, nach der der Verhaftete frei herumlaufen darf, ein Gericht, das seine Kanzleien und Vernehmungszimmer auf den Dachböden der Vorstädte unterhält, ein bettlägeriger Verteidiger, der an Eingaben arbeitet, die nie fertig werden und niemals fertig werden können, Frauen, die die Angeklagten um ihrer Schönheit willen lieben und ansonsten dem Gericht sexuell unterworfen sind, Männer, die ihr ganzes Leben nur ihrer Verteidigung widmen und dabei nicht einmal wissen, ob ihre Anstrengungen nützlich oder schädlich sind; und der einflussreichste Akteur ist der Mann, der die Porträts der Richter malt, denn der könnte durch geschickte Einflüsterung vorläufige Freisprüche erwirken, nach denen man allerdings, wenn es schlecht läuft, sofort wieder von neuem verhaftet werden kann - willkommen in der Welt, in der sich Josef K., 'ohne daß er etwas Böses getan hätte', in dem einen Jahr vom Morgen seines 30. bis zum Vorabend seines 31. Geburtstages behaupten muss.

Da ist nichts Erhabenes an diesem Prozess und dem ihn anstrengenden Gericht, es ist alles schlampig, liederlich, kleinlich, korrupt, eitel, bürokratisch und vor allem ganz und gar rätselhaft, eine Parallelwelt tut sich auf für Josef K., und je länger wir lesen, desto mehr fühlen und kämpfen wir mit ihm, denn das tut er, kämpfen, er widersetzt sich, obwohl ihm alle davon abraten, und gerade seine Widerspenstigkeit scheint sein Untergang zu sein, aber er unterwirft sich nicht und er verzweifelt nicht, aber er wird müder und müder und verwirrter und verwirrter.

Dabei geht es nicht ohne Komik ab: Es ist alles nicht nur ganz und gar rätselhaft, es ist auch alles unsagbar blöd, und Josef K. scheut sich nicht, das zu bemerken und anzuprangern, nur dass ihm das auch nichts nützt. Zu verstehen gibt es für ihn nicht viel und für uns als Leser auch nicht, und doch verstehen wir nur zu gut: Es ist die Rätselhaftigkeit unserer Existenz wie auch der Existenz alles anderen um uns herum, die hier verhandelt wird mit den banalen, unzulänglichen, menschlichen Mitteln, die uns als einzige zur Verfügung stehen, und so lesen Untersuchungsrichter während der Verhandlung in zerfledderten Büchern mit schmuddeligen Zeichnungen, wirft ein Gerichtsbeamter die in die Kanzleien drängenden Advokaten solange die Treppe hinunter, bis sie ihn durch ihren unermüdlichen Ansturm zur Aufgabe gezwungen haben, ist jedem Richter bis in die kleinste Einzelheit vorgeschrieben, wie er sich vom Gerichtsmaler malen lassen darf, das ganze Buch ist auch eine große Parade von Spökenkiekern, Schlawinern, Quatschköpfen, Angebern, wirren Zauseln und Duckmäusern, die aber alle, und da bleibt einem das Lachen dann gleich wieder im Halse stecken, spießige Rädchen einer riesigen Machtmaschine sind, die unermüdlich daran arbeitet, Menschen zu verurteilen und zu vernichten. Wie immer wir bei der Lektüre versucht sind, das Gericht zu interpretieren, als Triumph eines exzessiven Über-Ichs, als Einbruch des Tragischen in den Alltag, als Unterdrückungsapparat der Gesellschaft gegen sexuelle, kulturelle, politische oder ökonomische Nonkonformität - alles wird ein, zwei Seiten später widerlegt oder jedenfalls nicht plausibler, da kann man es ebensogut erst einmal lassen, bei Kafka ist eine gewisse Hingabe nie falsch und das Buch belohnt sie vielfach, auch wenn es schlecht ausgeht. Es muss nicht immer ein Happy End sein."

Sven Regener

Commencez votre essai gratuit de 14 jours

  • Accès complet à des centaines de milliers de livres audio, d’e-books et de magazines dans notre bibliothèque
  • Créez jusqu'à 4 profils — y compris des profils enfants
  • Lisez et écoutez hors ligne
  • Abonnements à partir de 9,99 € par mois
Essayer gratuitement

Sans engagement

Der Prozess - Sven Regener liest Franz Kafka (Ungekürzt)

"Gerichtsdiener, die einem erst einmal das Frühstück wegessen, Richter, von denen die untersten unerreichbar und die obersten völlig unbekannt sind, eine Anklage, deren Inhalt keiner weiß, eine Verhaftung, nach der der Verhaftete frei herumlaufen darf, ein Gericht, das seine Kanzleien und Vernehmungszimmer auf den Dachböden der Vorstädte unterhält, ein bettlägeriger Verteidiger, der an Eingaben arbeitet, die nie fertig werden und niemals fertig werden können, Frauen, die die Angeklagten um ihrer Schönheit willen lieben und ansonsten dem Gericht sexuell unterworfen sind, Männer, die ihr ganzes Leben nur ihrer Verteidigung widmen und dabei nicht einmal wissen, ob ihre Anstrengungen nützlich oder schädlich sind; und der einflussreichste Akteur ist der Mann, der die Porträts der Richter malt, denn der könnte durch geschickte Einflüsterung vorläufige Freisprüche erwirken, nach denen man allerdings, wenn es schlecht läuft, sofort wieder von neuem verhaftet werden kann - willkommen in der Welt, in der sich Josef K., 'ohne daß er etwas Böses getan hätte', in dem einen Jahr vom Morgen seines 30. bis zum Vorabend seines 31. Geburtstages behaupten muss.

Da ist nichts Erhabenes an diesem Prozess und dem ihn anstrengenden Gericht, es ist alles schlampig, liederlich, kleinlich, korrupt, eitel, bürokratisch und vor allem ganz und gar rätselhaft, eine Parallelwelt tut sich auf für Josef K., und je länger wir lesen, desto mehr fühlen und kämpfen wir mit ihm, denn das tut er, kämpfen, er widersetzt sich, obwohl ihm alle davon abraten, und gerade seine Widerspenstigkeit scheint sein Untergang zu sein, aber er unterwirft sich nicht und er verzweifelt nicht, aber er wird müder und müder und verwirrter und verwirrter.

Dabei geht es nicht ohne Komik ab: Es ist alles nicht nur ganz und gar rätselhaft, es ist auch alles unsagbar blöd, und Josef K. scheut sich nicht, das zu bemerken und anzuprangern, nur dass ihm das auch nichts nützt. Zu verstehen gibt es für ihn nicht viel und für uns als Leser auch nicht, und doch verstehen wir nur zu gut: Es ist die Rätselhaftigkeit unserer Existenz wie auch der Existenz alles anderen um uns herum, die hier verhandelt wird mit den banalen, unzulänglichen, menschlichen Mitteln, die uns als einzige zur Verfügung stehen, und so lesen Untersuchungsrichter während der Verhandlung in zerfledderten Büchern mit schmuddeligen Zeichnungen, wirft ein Gerichtsbeamter die in die Kanzleien drängenden Advokaten solange die Treppe hinunter, bis sie ihn durch ihren unermüdlichen Ansturm zur Aufgabe gezwungen haben, ist jedem Richter bis in die kleinste Einzelheit vorgeschrieben, wie er sich vom Gerichtsmaler malen lassen darf, das ganze Buch ist auch eine große Parade von Spökenkiekern, Schlawinern, Quatschköpfen, Angebern, wirren Zauseln und Duckmäusern, die aber alle, und da bleibt einem das Lachen dann gleich wieder im Halse stecken, spießige Rädchen einer riesigen Machtmaschine sind, die unermüdlich daran arbeitet, Menschen zu verurteilen und zu vernichten. Wie immer wir bei der Lektüre versucht sind, das Gericht zu interpretieren, als Triumph eines exzessiven Über-Ichs, als Einbruch des Tragischen in den Alltag, als Unterdrückungsapparat der Gesellschaft gegen sexuelle, kulturelle, politische oder ökonomische Nonkonformität - alles wird ein, zwei Seiten später widerlegt oder jedenfalls nicht plausibler, da kann man es ebensogut erst einmal lassen, bei Kafka ist eine gewisse Hingabe nie falsch und das Buch belohnt sie vielfach, auch wenn es schlecht ausgeht. Es muss nicht immer ein Happy End sein."

Sven Regener


Auteur(e) :

Narration :

Format :

Durée :

Langue :

allemand


  1. La Métamorphose

    Franz Kafka

    audiobookbook
  2. La Métamorphose

    Franz Kafka

    audiobookbook
  3. La Métamorphose - Livre Audio

    Franz Kafka, Livres audio en français

    audiobook
  4. Le Procès

    Franz Kafka

    book
  5. Le procès

    Franz Kafka

    audiobook
  6. Bêtes tueuses

    collectif collectif, Lafcadio Hearn, Conan Doyle, Level Maurice, ERCKMANN-CHATRIAN ERCKMANN-CHATRIAN, Marc Donat, Franz Kafka, Guillaume Apollinaire, Edgar Allan Poe, H. J. Magog, Nikolaï Garine

    audiobook
  7. La Colonie pénitentiaire

    Franz Kafka

    audiobook
  8. Franz Kafka: Oeuvre complètes : Romans, Récits, Nouvelles, Théâtre, Aphorismes et Lettres

    Franz Kafka

    book
  9. Existentialism: Philosophical and Literary Works : Notes from Underground. Fear and Trembling. Ecce Homo. The Metamorphosis and others

    Fyodor Dostoevsky, Soren Kierkegaard, Friedrich Nietzsche, Rainer Maria Rilke, Franz Kafka

    audiobook
  10. Letters to Milena

    Franz Kafka

    book
  11. La métamorphose :

    Franz Kafka

    audiobook
  12. 100 Obras Maestras de la Literatura Universal : Explorando la diversidad literaria a lo largo de los siglos

    Johann Wolfgang von Goethe, Gustave Flaubert, Franz Kafka, Lewis Carroll, Sigmund Freud, Henrik Ibsen, Charles Dickens, Honoré De Balzac, Mark Twain, Immanuel Kant, Friedrich Schiller, Harriet Beecher Stowe, Oscar Wilde, Robert Louis Stevenson, Edgar Allan Poe, William Shakespeare, Dante Alighieri, Giovanni Boccaccio, Bram Stoker, Charlotte Brontë, Emily Brontë, Jack London, Henry James, Louisa May Alcott, Victor Hugo, Arthur Conan Doyle, Joseph Conrad, Jane Austen, José Rizal, Edgar Rice Burroughs, Herman Melville, Jonathan Swift, Gustavo Adolfo Bécquer, Vicente Blasco Ibáñez, Benito Pérez Galdós, Jean-Jacques Rousseau, Daniel Defoe, Pedro Calderón de la Barca, Virginia Woolf, Washington Irving, Juan Valera, Horacio Quiroga, Nathaniel Hawthorne, Charles Baudelaire, Wilkie Collins, William Makepeace Thackeray, Voltaire, Apuleius, Leopoldo Alas, John Milton, José Martí, Lope de Vega, Emilio Salgari, Francisco de Quevedo, Rubén Darío, Antonio Machado, José Zorrilla, Tirso de Molina, Emilia Pardo Bazán, Fernando de Rojas, L. Frank Baum, H.G. Wells, J.M. Barrie, H. Rider Haggard, H.P. Lovecraft, Seneca, Hans Christian Andersen, Friedrich Nietzsche, Mary Shelley, Baltasar Gracián, Sófocles, Sun Tzu, Fiódor Dostoyevski, Antón Chéjov, León Tolstoi, Tomás Moro, San Agustín, Nikolái Gógol, Julio Verne, Homero, Platón, Alejandro Dumas, Aristóteles, Hermanos Grimm, Jorge Isaacs, Ignacio De Loyola, Nicolás Maquiavelo, Miguel Cervantes, Teresa De Jesús, Alejandro Dumas hijo, MIJAÍL BAKUNIN, Miguel De Unamuno, Duque de Rivas, Ramón María del Valle-Inclán, Federico García Lorca, Gibrán Jalil Gibrán

    book