Rainer Maria Rilkes "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" (1910) ist ein Schlüsselwerk der literarischen Moderne und lässt sich aus literaturwissenschaftlicher Sicht auf mehreren Ebenen analysieren und bewerten:
Das Werk markiert einen Übergang von der klassischen Erzählform des 19. Jahrhunderts zur literarischen Moderne. Es steht in der Tradition des modernen Romans, vergleichbar mit James Joyce oder Marcel Proust, und bricht mit linearen Erzählstrukturen zugunsten einer fragmentarischen, subjektiven Darstellung.
Malte Laurids Brigge ist ein Ich-Erzähler, dessen Aufzeichnungen introspektiv, assoziativ und oft traumartig wirken. Die Subjektivität steht im Zentrum – es geht weniger um äußere Handlung als um innere Zustände, Wahrnehmungen und Erinnerungen. Das Ich ist zersplittert, suchend, oft leidend – ein typisches Motiv der Moderne.
Paris wird als Ort der Entfremdung, Krankheit und des Verfalls dargestellt. Die Großstadt ist nicht mehr Ort des Fortschritts, sondern der Vereinzelung und Existenzangst. Rilke verarbeitet hier seine eigenen Erfahrungen in Paris, etwa als Sekretär von Rodin.
Rilkes Sprache ist poetisch, bildreich, oft schwer zugänglich. Die Sätze sind kunstvoll gebaut, mit vielen Metaphern und Symbolen. Die Grenzen zwischen Prosa und Lyrik verschwimmen – das Werk ist ein "Prosagedicht", wie es Rilke selbst nannte.
Das Werk wurde zunächst kritisch aufgenommen, gilt heute aber als Meilenstein der literarischen Moderne im deutschsprachigen Raum. Es beeinflusste zahlreiche Autoren und Denker, etwa Elias Canetti oder Walter Benjamin.
Aus literaturwissenschaftlicher Sicht ist "Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge" ein radikal modernes Werk, das zentrale Themen der Moderne – Entfremdung, Ich-Verlust, Sprachskepsis – auf höchstem sprachlichen Niveau verarbeitet. Es ist ein introspektives, poetisches und philosophisches Buch, das sich jeder einfachen Interpretation entzieht – und gerade deshalb so faszinierend bleibt.