Die Ratten des Literaturnobelpreisträgers Gerhart Hauptmann ist ein packendes Drama, das die Leser in die düstere Welt des wilhelminischen Berlins entführt und die sozialen Missstände und moralischen Konflikte jener Zeit schonungslos offenlegt. Die Geschichte beginnt mit der Putzfrau Henriette John, die seit dem tragischen Verlust ihres kleinen Sohnes Adelbert, der im Alter von acht Tagen an den Folgen unhygienischer Verhältnisse starb, verzweifelt ein zweites Kind sucht. Diese Sehnsucht treibt sie dazu, das uneheliche Kind des Dienstmädchens Pauline Piperkarcka für ihre gesamten Ersparnisse zu kaufen und als ihr eigenes auszugeben.
Doch das geheime Geschäft gerät aus den Fugen, als Pauline ihr Kind auf dem Standesamt anmeldet und Henriette als Pflegemutter angibt. In Panik versucht Henriette, Pauline zu täuschen, indem sie ihr das todgeweihte Baby der Morphinistin Knobbe unterschiebt. Die Situation eskaliert, als Henriettes gewalttätiger Bruder Bruno Pauline einschüchtern soll, sie jedoch im Streit tötet. Gefangen in einem Netz aus Lügen und Verzweiflung, muss Henriette schließlich ihrem Mann die Wahrheit gestehen, der sich in seiner Ehre gekränkt fühlt und sie verlassen will. Als die Polizei das Kind ins Waisenhaus bringen will, erkennt Henriette die Aussichtslosigkeit ihrer Lage und wirft sich vor einen Pferdebahnwagen.
Parallel zu dieser bewegenden Muttertragödie verläuft ein satirisch überspitzter Handlungsstrang, der die Heuchelei der bürgerlichen Gesellschaft entlarvt. Theaterdirektor Hassenreuter, der in einem von Ungeziefer heimgesuchten Dachgeschoss seinen Theaterfundus untergebracht hat, predigt seinen Schauspielschülern die hohe Moral des Schillerschen Idealismus, während er sich gleichzeitig mit einer Elevin vergnügt. Erich Spitta, ein schüchterner ehemaliger Theologiestudent und Geliebter von Hassenreuters Tochter Walburga, erkennt die Hohlheit der deutschen Klassik und sucht im Theater nach echter Menschlichkeit und Natürlichkeit.
Mit einer Mischung aus Realismus und tiefgründigen Charakterstudien bietet Hauptmann ein kraftvolles Werk, das die existentiellen Ängste des Kleinbürgertums und Proletariats thematisiert und die sozialen Unterschiede und Heucheleien der wilhelminischen Gesellschaft offenlegt. "Die Ratten" ist ein beeindruckendes Drama, das den Leser von der ersten Seite an fesselt und zum Nachdenken anregt.