(0)

Die Waldschenke

E-book


Ernst Kapulat wuchs allein mit seiner Mutter auf. Sie nahm das Geheimnis ĂŒber den Lorbass, seinen Vater, mit ins Grab. Eines Tages jedoch erhielt er einen Brief. Als Erbe seines verstorbenen Vaters Harry Witt wurde er gemeinsam mit seiner ihm bisher unbekannten Schwester Besitzer der romantischen Waldschenke an der Ostsee. Als der kaufwillige Graf nur wenig Geld bot, ĂŒberließ die Schwester Ernst das Erbe. Der junge Mann, der in den Nachwendejahren seine Lehre als Kfz-Mechaniker nicht beenden durfte und nun gemeinsam mit seinem Freund eine Mitfahrgemeinschaft betrieb, wurde Gastwirt. Er fand in dem fernen Ort Liebe, Freunde, 
 und eine weitere Schwester.

LESEPROBE;

„Stellt euch das vor: Ich werde GrĂ€fin!“

Mit diesem Jubelruf steckte Gritta, von ihrer Nachmittagstour aus dem Wald kommend, den Kopf in das offene KĂŒchenfenster, wĂ€hrend ihr Fahrrad laut auf den Hof schepperte, rannte gleich danach durch den Flur und zeigte sich in der TĂŒr zur Gaststube, wo neben Ernst nur die durch den Alarmruf aufgeschreckte Vera sichtbar wurde.

„Ich werde GrĂ€fin!“, wiederholte sie. „Gritta von Brandstetten, wie das klingt!“

Sie sprang hinaus auf den Vorderhof und trÀllerte dort trotz der an zwei Tischen sitzenden GÀste weiter.

„Ich werde GrĂ€fin, eine richtige GrĂ€fin!“

„Nun ist sie total ĂŒbergeschnappt“, stellte Vera fest.

„Dahinter steckt bestimmt diese Frau“, kommentierte Ernst. „Die Grafentochter hat sie eingefangen. Und ich dachte, sie steht nur auf MĂ€nner.“

Vera erwischte ihre im Übereifer umherwirbelnde Tochter am Arm und zog sie ins Haus.

„Hör auf zu plĂ€rren! So benimmt man sich nicht vor den GĂ€sten.“

„Aber es stimmt. Ich werde GrĂ€fin.“

„Das kannst du dir abschminken. Das wirst du nicht, denn die Komtesse hatte zwischendurch einen bĂŒrgerlichen Mann geheiratet. Das Von ist weg. Auch nach der Scheidung heißt sie Frau Dagström, völlig normal, auch wenn sie selbst nicht ganz normal ist.“

„Ich rede doch nicht von ihr“, protestierte Gritta. „Ich rede vom Grafen. Der will mich heiraten.“

„Gott im Himmel!“, rief Vera.

„Der Graf und du?“, sagte Ernst. „Nichts gegen den alten Herrn. Aber der kriegte doch kaum noch die Beine hoch.“

„Nicht der alte, sondern der junge, der Sohn, der Werner.“

Werner von Brandstetten genoss sein ĂŒppig honoriertes Dasein als Filialchef einer deutschen Fluggesellschaft in Kairo.