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Hundert Jahre Deutsche Pfingstbewegung 1907-2007

E-book


Paul Schmidgall (Jahrgang 1954) hat sich in den letzten Jahren wiederholt die Arbeit gemacht, wichtige Namen und Daten zur Geschichte der Pfingstbewegung zu sammeln und sie in professioneller Manier literarisch auszuwerten. Er verfĂŒgt ĂŒber ein umfassendes akademisches RĂŒstzeug, das er sich an namhaften Hochschulen und UniversitĂ€ten in Deutschland, den USA und in Israel angeeignet hat. Als promovierter Theologe mit Schwerpunkten in NT und Judaistik hat er eine beeindruckende Laufbahn sowohl als Pastor der "Gemeinde Gottes" in Deutschland als auch als Dozent, Dekan und Rektor am EuropĂ€ischen Theologischen Seminar Kniebis im Schwarzwald aufzuweisen. Dass er sich fĂŒr den Bereich der Pfingstbewegung, zu der er sich zugehörig weiß, auch Themen der Kirchengeschichte zugewandt hat, spricht fĂŒr ihn als einen soliden "Allrounder" mit beachtlicher Kompetenz auf vielen Gebieten theologisch-wissenschaftlicher Arbeit.

Von seinen Veröffentlichungen der letzten zehn Jahre sind zwei BĂŒcher zur Geschichte der Pfingstbewegung bereits im Umlauf: "90 Jahre deutsche Pfingstbewegung", Erzhausen 1997, und "Von Oslo nach Berlin! Die Pfingstbewegung in Europa", Erzhausen 2003. Da war es ein konsequenter Schritt, wenn er jetzt auch die "100 Jahre Deutsche Pfingstbewegung" im großen Stil beschreibt. Das Hauptwerk stellt einen hohen Anspruch an seine Leser, und der Verfasser weiß, dass es in diesem betrĂ€chtlichen Umfang vermutlich nur von "Fachleuten" gelesen wird. Das sind gewöhnlich Studierende, Doktoranden oder Dozenten, die sich aus wichtigem Gunde mit einer solchen Materie befassen.

Doch auch "gern lesende Laien", die an der Kirchengeschichte ganz allgemein und an den 100 Jahren Geschichte der deutschen Pfingstbewegung als engagierte Gemeindemitglieder oder "Privatgelehrte" besonders interessiert sind, werden dankbar zu dem hier besprochenen Buch greifen. Es ist eine handliche Studienausgabe, die durchaus geeignet ist, "Freunden und Feinden" der Pfingstbewegung einen Eindruck zu vermitteln, wie diese bisher letzte weltweite Erweckungsbewegung in Deutschland entstanden ist und welchen Weg sie gegangen ist, bis sie ihr heutiges evangelisch-freikirchliches Profil gewonnen hat.

Paul Schmidgall hat grĂŒndlich gearbeitet, er lĂ€sst nichts aus, was in der geschichtlichen Entwicklung der deutschen Pfingstbewegung umstritten oder gar falsch war, und er beschreibt die Lehre und das Leben der Pfingstgemelnden auch an solchen Stellen, die in der Vergangenheit zu MissverstĂ€ndnissen und langer ZurĂŒckhaltung bei anderen evangelikalen Christen beigetragen haben. Allerdings kann er das in dem Bewusstsein tun, dass die geistlichen "Geburtswehen", die in Deutschland (1909) zur totalen Verurteilung der Pfingstbewegung durch die landeskirchliche Gemeinschaftsbewegung (Gnadauer Verband) gefĂŒhrt haben, heute im interkonfessionellen Dialog keine nennenswerte Rolle mehr spielen.

In diesem Zusammenhang erwĂ€hnt der Verfasser den immensen Beitrag des international anerkannten Kirchenhistorikers Walter J. Hollenweger, inzwischen emeritierter Professor fĂŒr Missiologie an der UniversitĂ€t Birmingham/England, eher sparsam, obwohl Hollenweger gerade der deutschen Pfingstbewegung einen großen Dienst erwiesen hat. Er hat als erster Historiker von wissenschaftlichem Rang die in Deutschland lange Zeit von den Kirchenleitungen ignorierte und von den Freikirchen mit großer ZurĂŒckhaltung beobachtete Pfingstbewegung in geradezu visionĂ€rer Weise als eine legitime Kirche neben den anderen Kirchen der Welt gesehen und damit einen Durchbruch bewirkt, der auch in Deutschland zu einer grĂ¶ĂŸeren Akzeptanz der Pfingstbewegung interkonfessionell gefĂŒhrt hat.

Paul Schmidgall kann in seinem Buch auch mit dem Argument auftreten, dass die deutsche Pfingstbewegung ein Teil - wenn auch nur ein kleiner - der weltweiten Pfingstbewegung geworden ist. Eine solche Ausbreitung einer geistlichen Bewegung in nur 100 Jahren hat es in der zweitausendjĂ€hrigen Geschichte der christlichen Kirchen noch nie gegeben. Diesem Tatbestand kann sich natĂŒrlich kein ernsthafter Historiker mehr entziehen. Waren bis dahin in der ökumenischen Diskussion nach der römisch-katholischen Kirche an zweiter Stelle die orthodoxen Ostkirchen mit insgesamt circa 300 Millionen Mitgliedern involviert, so hat jetzt die Pfingstbewegung im globalen Umfang mit etwa 500 Millionen Mitgliedern als jĂŒngste Konfession den zweiten Platz eingenommen. Allerdings sind lĂ€ngst nicht alle Pfingstgemeinden von der Notwendigkeit eines ökumenischen Dialogs ĂŒberzeugt.

Wohltuend ist die fast gelassen wirkende Beschreibung der schwierigen theologischen Positionen innerhalb der Pfingstbewegung im Ausland und in Deutschland durch den Autor. Wohltuend deshalb, weil er gelten lĂ€sst, dass es auch in den Pfingstgemeinden unterschiedliche lehrmĂ€ĂŸige Schwerpunkte und Formen von gelebter Frömmigkeit gibt. Er beschreibt die AusprĂ€gung der Pfingstbewegung" (77), die sich in Deutschland 1978/ 79 im "Forum Freikirchlicher Pfingstgemeinden" eine gemeinsame Plattform auf ihrem Weg zueinander geschaffen hat, obwohl die damals tragende Generation die jeweils andere "Richtung" noch gar nicht wirklich kannte. Schmidgall zeigt, wie sich die damals fĂŒnf reprĂ€sentativen deutschen Pfingstgruppen - MĂŒlheimer Verband, Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden (BFP), Volksmission, Gemeinde Gottes und Apostolische Kirche - einander angenĂ€hert und auf ein gemeinsames "pfingstliches" Zeugnis verstĂ€ndigt haben. Das alles wird in fachlicher und sachlicher Ausgewogenheit beschrieben und immer wieder in die europĂ€ische und globale Dimension der Pfingstbewegung eingebettet. Nur schade, dass sie als Freikirche von den Volkskirchen immer noch zu wenig wahrgenommen wird, ganz zu schweigen von den öffentlichen Medien in Deutschland, die sie entweder nur entstellt darstellen oder ihr Vorhandensein ganz und gar totschweigen.

Wie in seinen eingangs erwĂ€hnten zwei BĂŒchern hat Schmidgall auch in diesem handlichen Werk wichtige statistische Zahlen erfasst und ausgewertet. Von der halben Milliarde "PfingstglĂ€ubiger" ragen die neo-charismatischen Christen in der dritten Welt mit 300 Millionen sowie andere Charismatiker weltweit mit 175 Millionen weit heraus. Selbst unter den 66 Millionen "klassischen" Pfingstlern nimmt sich die Mitgliederzahl in Deutschland von etwa 60 000 nur sehr bescheiden aus. Trotzdem gelten die freikirchlichen Pfingstgemeinden und die mit ihnen assoziierten Freien "charismatischen" Kreise in Deutschland als die am schnellsten wachsenden evangelischen Freikirchen. Sie lassen aus biblischem Prinzip keine Kirchensteuer durch die FinanzĂ€mter einziehen, sondern "leben" von den freiwilligen Spenden und Liebesopfern ihrer Mitglieder. Trotzdem bezahlen sie ihre Pastoren und bauen ihre Kirchen und GemeindehĂ€user gerĂ€umiger und schneller als die großen Kirchen. Sie entwickeln auch eine beachtliche eigene Medienarbeit in Rundfunk und Fernsehen, fĂŒr die sie teure Sendezeiten bei privaten Medienanstalten mieten. FĂŒr ausgesprochen soziale Zwecke erhalten sie allerdings - wie alle anderen Kirchen - staatliche ZuschĂŒsse oder besondere VergĂŒnstigungen. Dieser "vitale" Aspekt der freikirchlichen Pfingstbewegung in Deutschland wird von Schmidgall in der Studienausgabe nicht thematisiert. Sein Buch enthĂ€lt aber eine FĂŒlle von Hinweisen in Fußnoten und mehreren ausgewĂ€hlten Exkursen. Wer sich ernsthaft wissenschaftlich auf das kirchengeschichtliche PhĂ€nomen "100 Jahre Pfingstbewegung in Deutschland" einlĂ€sst, sollte sich die umfangreiche Originalausgabe besorgen. Dort findet er die wichtigsten ZusammenhĂ€nge, aufweiche die Fußnoten der verkĂŒrzten Studienausgabe hinweisen. Es fĂ€llt auf, dass die meisten zitierten Autoren dem angloamerikanischen Sprachraum entstammen. Der Verfasser hat hauptsĂ€chlich an auslĂ€ndischen, englischsprachigen Hochschulen studiert und sich bei der vorliegenden Arbeit auf diese ihm bekannten wichtigen Quellen und Belegstellen bezogen, was beim Leser die Kenntnis der englischen Sprache voraussetzt, wenn er sich mit diesen Autoren beschĂ€ftigen will. In den Fußnoten wird auch auf zahlreiche, zum Teil noch unbekannte deutsche Autoren hingewiesen, deren BeitrĂ€ge zum Thema hilfreich sind. Leider haben die VĂ€ter der deutschen Pfingstbewegung, die ab 1910/12 das Bild der freikirchlichen Pfingstgemeinden geprĂ€gt haben, nur selten oder gar nicht ĂŒber theologische Themen sowie ĂŒber wichtige historische Daten und Fakten geschrieben. Aber die zweite und dritte Generation von Pfingstlern in Deutschland hat in mehreren BĂŒchern, mehr noch in JubilĂ€umsschriften ihrer Gemeinden, viele wichtige historische Momente schriftlich festgehalten. Darauf weist der Autor ausdrĂŒcklich hin.

Das einzige kirchenhistorische Werk in deutscher Sprache, das fĂŒr die ersten 50 Jahre der weltweiten Pfingstbewegung einen wissenschaftlichen Rang beanspruchen kann, ist das Buch von dem langjĂ€hrigen SekretĂ€r der "Schweizerischen Pfingst-Mission (SPM) Leonhard Steiner, "Mit folgenden Zeichen", (Eine Darstellung der Pfingstbewegung, Basel 1954, 210 S.). Es ist zwar im Handel vergriffen, aber in vielen privaten und gemeindlichen Bibliotheken noch als Leihgut zu haben. Es sei an dieser Stelle jenen Interessierten empfohlen, die nur deutsch lesen können, da es ganz auf der Linie des Autors liegt, der es ĂŒbrigens auch in seinem Literaturverzeichnis aufgefĂŒhrt hat. Es ist Paul Schmidgall dafĂŒr zu danken, dass er einen ganz wesentlichen Beitrag zur Geschichte der Pfingstbewegung in einer solchen Dichte erarbeitet hat. An seiner Arbeit wird kein Kirchengeschichtler vorbeikommen. Es ist daher zu wĂŒnschen, dass nicht nur diese Studienausgabe sondern auch das Hauptwerk in die Bibliotheken aller theologischem FakultĂ€ten sowie aller kirchlichen und freikirchlichen theologischem Seminare aufgenommen wird.

Ludwig D. Eisenlöffel