"Die Ausschaltung des Augenlichts ist eine vereinfachte und bis zum äußersten getriebene Lösung, aber ist das nicht das gleiche Verlangen, das Matta zum Ausdruck bringt, wenn er davon spricht, 'die Optik zu töten', heißt das denn etwas anderes, als der Unruhe aller jungen Maler, die von den Verheißungen des Surrealismus geradezu besessen sind, Gestalt zu geben?" (Pierre Mabille, 1939)
Das zentrale Motiv des Auges hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der Kunst eine auffallende künstlerische "Behandlung" erfahren. Sei es durch angsterfüllt weit aufgerissenes Schauen auf eine als bedrohlich empfundene Außenwelt oder durch eine Substituierung der Augen mit technischem Gerät, sei es durch eine isolierte Präsentation, ein bewusstes Fehlen derselben oder, wie für den Surrealismus der 1920er und 1930er Jahre bemerkenswert, durch einen Angriff auf den über Jahrhunderte anerkannten "edelsten Sinn". Dieses Phänomen wird hier unter besonderer Berücksichtigung des Romans "Histoire de l'Œil" von Georges Bataille aus dem Jahre 1928 untersucht. Der Roman, den André Breton als das "schönste erotische Werk" bezeichnet hat, das er kenne, kreist um wesentliche Aspekte des surrealistischen Kosmos: in psychoanalytischen Termini ausgedrückt, um Eros und Thanatos, und ganz wesentlich für den hiesigen Zusammenhang, um die obsessive Verfolgung der Augenmetapher. Die bedeutendsten Werke im Hinblick auf die Zerstörung des Augenmotivs entstanden Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre – also nach Erscheinen der "Histoire de l'Œil". Was Bataille seine Protagonisten ausleben lässt, scheint Synonym für ein exzessives Erleben der Surrealisten zu sein, das sich zwischen dem Revoltieren gegenüber tradierten Werte- und Normsystemen, dem Verlangen nach einer eruptiven Entfesselung des Eros, dem Wahnsinn, sowie der Hinwendung zu Überrealitäten wie dem Okkultismus und dem Todesstreben bewegt.
Diss. Bochum 1999.