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Herrensalon W. Kleinekorte

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„Nehmse Platz, Herr Jeheimrat! Was gibsn Neues aufm Bau? Wieder Nachtschicht gehabt?“

Mit diesen Worten begrüßt ein bekannter Berliner Frisör gewöhnlich fast jeden seiner Stammkunden.

Meister Kleinekorte war den Eulenspiegel-Lesern zu einem Begriff geworden, seit seine Monologe immer mal wieder in unserer einzigen Zeitschrift für Humor und Satire abgedruckt wurden.

Nach fast zwanzig Jahren aber geriet meine Figur in eine tiefe Sinnkrise. Dummerweise war mir im allerersten Text (… trauert verlorenen Werten nach) eine Altersangabe unterlaufen. Da sagt Kleinekorte: „Wissense. ick bin jetzt an die Zweiundsiebzig …“ Unter den Lesern des Blattes aber gab es auch mathematisch begabte; und die fingen nun an zu rechnen und taten empört der Redaktion kund, dass es so steinalte Frisöre gar nicht geben könne, und man solle den alten Bartkratzer endlich eines natürlichen Todes sterben lassen.

Leserbriefe mussten in der DDR ernst genommen und binnen 14 Tagen beantwortet werden, galten sie doch als Eingaben im Sinne des Staatsratserlasses über Eingaben. So tagte denn das Redaktionskollegium mit heißen Köpfen: Sollten die Leute gar recht haben? Zwar kamen die Briefe nicht aus dem berlin-brandenburgischen Sprachraum, sondern von einem kleinen zänkischen Bergvolk im Süden der Republik. Aber es war ein hoher Prozentsatz von ungehaltenen Konsumenten: Bei einer Auflage von gut dreihunderttausend Exemplaren immerhin zwei Briefe!!!

Flugs machte ich mich in der Rolle eines Kunden auf den Weg, und siehe da: Mein Informant hatte nicht gelogen. Als das kleine alte Männlein gegen Ende der Sitzung mit zitternden Händen seinen Barbierdegen schärfte, um mir den Nacken auszurasieren, packte mich die nackte Angst. Ich dachte, mein letztes Stündlein hätte geschlagen. Nun sagt man ja, in solcher Lage zöge blitzschnell noch einmal das halbe Leben an einem vorbei. Von wegen! Ich hatte nichts als scheißernde Angst. Da besann ich mich auf das Wort: Solange noch geredet wird, wird nicht – geschnitten. Also begann ich pausenlos auf ihn einzuquasseln. Dabei fragte ich ihn auch: „ Sagense mal, Meister Fritz, in welchem Altersheim leben Sie denn?“

„Altersheim?!“, erwiderte er kopfschüttelnd, „Ick lebe als Untermieter - bei ältere Leute.“

Nachdem ich der Redaktion Bericht erstattet hatte, meinte der Stellvertretende Chefredakteur Karl Kultzscher grinsend: „ Na, dann lass man deinen Kleinekorte ruhig noch hundert werden.“

C.U.W.