Charlottengrad und Scheunenviertel

Das Erleben von Exil hinterlĂ€sst einen Bruch im Lebenslauf, den Betroffene immer wieder mithilfe von narrativen IdentitĂ€tskonstruktionen, autobiographisch oder fiktional, zu ĂŒberwinden suchen. Die Auseinandersetzung mit einem neuen Umfeld, fremden SpracheindrĂŒcken und empfundene Fremdheit zwingt Exilanten zu einer neuen Selbstverortung. FĂŒr die russischen Juden im Berlin der zwanziger Jahre war dieses FremdheitsgefĂŒhl paradoxerweise ein vertrauter Zustand: Auch im zaristischen Russland hatten sie als Fremde im eigenen Land gegolten.Britta Korkowsky untersucht exilliterarische Texte, vorwiegend der Autoren Viktor Schklowski, Lev Lunc und Ilja Ehrenburg. Der Prozess der Selbstverortung Ă€ußert sich in der Perspektive auf die Stadt Berlin, die als kalt und lebensfeindlich wahrgenommen wird. EindrĂŒcke werden immer wieder von Erinnerungen aus der Heimat ĂŒberlagert, sodass die Stadt stets durch diese Folie aus vergangenen Bildern aufscheint. Die Autoren zeigen eine deutliche Hinwendung zur jĂŒdischen Kulturtradition, die anhand von Intertextverweisen zur HebrĂ€ischen Bibel und zum Midrasch offenbar wird. Die gewahrte Distanz der Protagonisten zu ihrer Umwelt lĂ€sst sich eindrucksvoll anhand der narrativen Struktur ihrer Texte ablesen.