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Das neue Jerusalem

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Am Anfang stand die Idee von der reinen Gemeinde von Heiligen nach dem Vorbild der ZustĂ€nde der ersten Christen: nicht bloß innere, sondern auch Ă€ußere Scheidung von der "Welt", gemeinsames Leben, GĂŒtergemeinschaft, die Offenbarung Gottes an einzelne GlĂ€ubige – die Propheten und das gemeinsame Erwarten eines tausendjĂ€hrigen glĂŒckseligen Reiches. Das war eine Utopie, ein Traum. "TrĂ€ume verwirklichen sich nicht. Nur AlbtrĂ€ume verwirklichen sich", sagt die Philosophin Ágnes Heller ĂŒber die Utopie vom europĂ€ischen FriedensbĂŒndnis und bringt dadurch die AktualitĂ€t der gescheiterten utopischen EntwĂŒrfe zum Ausdruck. Das TĂ€uferreich zu MĂŒnster war ein solcher Entwurf.

Anderthalb Jahre dauerte das 1534 in MĂŒnster ausgerufene TausendjĂ€hrige Reich des "Neuen Jerusalems" – ein Königreich der AuserwĂ€hlten unter der Herrschaft des TĂ€uferkönigs Jan von Leyden. Anderthalb Jahre lang belagerte der Bischof Franz von Waldeck MĂŒnster, um die in kĂŒrzester Zeit vom Papsttum ĂŒber Luthertum zum TĂ€ufertum konvertierte Stadt in die Knie zu zwingen. Unter dem Belagerungsdruck, dem wachsenden Hunger und der zunehmenden Ausweglosigkeit mutierte das Königreich zu einer Schreckens- und Terrorherrschaft eines "Wundertiers", das gerne selbst zum Schwert griff und die Gottlosen und die Widerspenstigen – darunter auch eine seiner sechzehn Frauen – eigenhĂ€ndig köpfte.

Arna Aleys StĂŒck "Das neue Jerusalem", entstanden im Auftrag fĂŒr das Wolfgang Borchert Theater MĂŒnster, balanciert zwischen dokumentarischem Material und den thematischen Parallelen aus den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Geschehnissen. Im Zentrum des StĂŒckes steht ein soziopathischer Herrscher, der es gekonnt schafft, die Masse auf der Ebene der PrimĂ€rgefĂŒhle zu manipulieren und dadurch Hilflosigkeit, bedingungslose Ergebenheit und absolute Hörigkeit zu erzeugen. Die historischen Ereignisse bieten eine Grundlage fĂŒr eine gegenwĂ€rtige Auseinandersetzung mit höchstaktuellen Themen: gescheiterte Utopie, Manipulation der Masse und Totalitarismus.