(0)

Das Puzzle: Todlustige Szenen aus der deutsch-deutschen Ehe

audiobook


Marx hinterm Tresen

Grandios gedacht, glÀnzend gemacht: Das Puzzle

"Anfangs klingt alles echt: der "mit sozialistischem Gruß" schließende Bericht der zentralen Auswertungs- und Dokumentationsgruppe des Sicherheitsdienstes an den Minister ĂŒber die Entwendung zweier Bronze-Figuren mittels unbekannter Technik: "Gewicht Marx inkl. Stuhl: 4353 kg, Gewicht Engels: 4202 kg, inkl. Manifest 4221,8 kg. Marx sitzend, Engels seitlich hinter ihm stehend, rechte Hand auf linker Schulter des Marx." Eine subversive Aktion einer "feindlich-negativen" Gruppierung, die nun von der Staatssicherheit in der ganzen DDR gesucht wird. In die FĂ€nge der BĂŒttel gerĂ€t Werner Wartnich, Student im anhaltinischen Köthen und bereits unter Beobachtung stehend. Kurz darauf kommt es zu einer Anzeige des "Exquisit"-BekleidungsgeschĂ€ftes in Köthen gegen Unbekannt wegen Diebstahls zweier HerrenanzĂŒge aus grĂŒnem Nadelkord und Jeans sowie Schuhwerk. Das Labor ermittelt, dass BarttrĂ€ger der Tat verdĂ€chtigt werden mĂŒssen.

Doch bekanntlich hat sich das Berliner Denkmal der Klassiker des Sozialismus nie aus dem Staube gemacht, also handelt es sich um eine Fiktion, ausgedacht von Norbert Viertel und als Hörspiel mit dem Titel "Das Puzzle" inszeniert - grandios ausgedacht, glÀnzend inszeniert.

Norbert Viertel erzĂ€hlt diese große Geschichte klassisch am Bild eines Liebespaares: Student Werner Wartnich – entzĂŒckend authentisch gesprochen von Sebastian Walch –, dem eigenen spießigen Elternhaus entkommen, provoziert in der Familie der Freundin den nĂ€chsten Bruch zwischen den Generationen. Dann geht er aus Köthen nach Berlin an die Humboldt-UniversitĂ€t, wo schon neue, westdeutsche Studenten und Professoren jene Ordnung etablieren, die der Student fĂŒr ein ebenfalls ĂŒberholtes Modell von Gesellschaft hĂ€lt.

Durch das ganze StĂŒck springen höchst unterhaltsam zwei bĂ€rtige Figuren, die zu Fleisch und Blut geworden: Marx und Engels unter den Namen MĂŒller und Meier in grĂŒnem Nadelkord und DDR-Jeans der Marke "Boxer". Sie beobachten das Spektakel. Engels, der als Lokaljournalist tĂ€tig wird, hat sich die Rede eines Herrn Genscher angehört, der den Laden ĂŒbernehmen will: "Das ganze erinnerte mich an Jennys Speisekammer. Du weißt schon: Das Loch in der hinteren Wand, und schon waren die Ratten da."

Und Karl Marx? Weil Engels ihn von seinem mageren Einkommen nicht mehr aushalten will, landet Marx in einem Berliner Konzert- und Tanzclub im Studentenbezirk Prenzlauer Berg hinter dem Tresen der Garderobe, wo er sich mit den Widrigkeiten eines schlecht bezahlten Service-Jobs rumschlagen muss.

Das Hörbuch ist insgesamt ganz hervorragend besetzt, aber Jaecki Schwarz als Marx zuzuhören, macht die grĂ¶ĂŸte Freude. Sowohl seine Art des ErzĂ€hlens als auch seine WutausbrĂŒche lassen sich nur mit grĂŒndlicher Vorbereitung, langer Erfahrung und perfekter Anverwandlung einer Rolle erreichen.

Es gibt so viele hĂŒbsche Einzelszenen im "Puzzle", dass sie hier nicht alle erwĂ€hnt werden können. Zu danken bleibt Norbert Viertel fĂŒr ein wortgewandtes, flottes, manchmal zartes und immer vor Scharfsinn blitzendes HörstĂŒck, fĂŒr einen ernsthaften, liebevollen Spaß mit den Ostdeutschen."

MARTIN Z. SCHRÖDER - Copyright: SĂŒddeutsche Zeitung