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Der Weg der Liebe : oder Wert und Wesen des praktischen Christentums

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Aus dem Inhalt:

Was ist also das Spektrum oder die Analyse der Liebe? Willst du sehen, was ihre Grundbestandteile sind? Du wirst finden, daß sie gewöhnliche Namen haben, daß es lauter Dinge sind, die von jedermann und ĂŒberall angewendet werden können, und daß eine Menge kleiner Dinge und gewöhnlicher Tugenden als Summe das eine hohe Gut, das "summum bonum," ergibt. Die einzelnen StĂŒcke sind Geduld: die Liebe ist langmĂŒtig; GĂŒte: und gĂŒtig; Edelmut: sie ist nicht neidisch; Demut: sie rĂŒhmt sich nicht selbst, ist nicht aufgeblasen. Höflichkeit: sie betrĂ€gt sich geziemend; Selbstlosigkeit: sie sucht nicht das ihre; Sanftmut: sie lĂ€ĂŸt sich nicht aufreizen; Arglosigkeit: sie denkt nichts Übles; Aufrichtigkeit: sie freut sich nicht ĂŒber die Ungerechtigkeit, sondern ĂŒber die Wahrheit.

"Sei gegen andere, wie du wĂŒnschest, daß sie gegen dich seien." In diesem einen Wort liegt die Philosophie aller Zeitalter. Es enthĂ€lt den Kern des praktischen Christentums. In ihm wurzelt alle Gesetzgebung und alle ReformtĂ€tigkeit. Seine praktische DurchfĂŒhrung wird schließlich alle Selbstsucht und allen Eigennutz ausrotten, und es wird eine Zeit kommen, wo jedermann erkennt, daß sein eigenes höchstes Gut in dem höchsten Gut seiner Mitmenschen enthalten ist; die Zeit, da selbst in der GeschĂ€ftswelt die goldene Regel der Liebe als die weiseste und vorteilhafteste GeschĂ€ftspolitik angesehen wird.

So ist der Weg, den die Liebe geht: sie sucht nicht nach dem Schlechten in ihren Mitmenschen, nur nach dem Guten. So tief auch ein Menschenkind gesunken sein mag, die Liebe sieht immer noch das Göttliche in ihm.

Nicht die großen Taten und Spenden, sondern die Summe der kleinen Hilfs- und Freundschaftsdienste, der tĂ€glichen Liebesbeweise sind es, die wahre Befriedigung gewĂ€hren und das Leben lebenswert machen. Wohltaten im großen Stil kommen im Leben nur selten vor und sind verhĂ€ltnismĂ€ĂŸig wenig Sterblichen möglich; aber wir mögen noch so arm sein und unser Leben mag noch so schlicht und einfach verlaufen, so können wir doch alle leuchtende Vorbilder der NĂ€chstenliebe sein. Dein Nachbar braucht vielleicht jeden Tag im Jahr ein freundliches LĂ€cheln, einen aufmunternden Zuspruch, ein Wort der Teilnahme. Karge nicht mit solchen Beweisen des Wohlwollens, denn sie bedeuten einem Verzweifelnden oft mehr denn Gold und Goldeswert.

Jeder Tag bietet uns reichliche Gelegenheit, unsern Nebenmenschen unschĂ€tzbare Dienste zu leisten, ohne dadurch mit unsern sonstigen Pflichten und unsern eigenen Interessen in Widerstreit zu geraten; im Gegenteil: je mehr Gutes wir andern tun, desto mehr Segen fließt auf uns selbst zurĂŒck. Jeder Dienst der NĂ€chstenliebe bedeutet eine Erneuerung der Kraft und eine Erhöhung der Lebensfreudigkeit.

Die Liebe im Herzen schafft dir nicht bloß GlĂŒck und Seelenfrieden, sondern verleiht dir eine Kraft zur Vollbringung großer Taten, die sich mit allen ReichtĂŒmern der Welt nicht erkaufen lĂ€ĂŸt. WĂŒrde das Gute, welches einzig und allein die Liebe schafft, der Welt genommen werden, wieviel wĂŒrde ihr dann noch verbleiben? Es gibt nichts Großes, Dauerndes, das Leben Verschönendes, was nicht aus dieser Quelle stammt.

"O lieb', solang du lieben kannst!

O lieb', solang du lieben magst:

Die Stunde kommt, es kommt der Tag,

Wo du an GrÀbern stehst und klagst."

F. Freiligrath

Erstveröffentlichung: 1920, Autor: Orison Swett Marden

1. E-Book-Auflage 2018

Umfang: ca. 190 Buchseiten, 25 Kapitel