Moral, Entrüstung, Scheinheiligkeit, verpackt in menschliche Schwächen, die sich hinter einer makellosen Maske verbergen. Die Maske - ein Segen, kein Fluch.
Wer möchte nicht gerne über den Gartenzaun schauen, um die verborgenen Gesichter der Moral zu enttarnen? Und dabei als Voyeur unentdeckt bleiben. Vielleicht ist man ja selbst einer von den Maskenträgern, erhebt seinen individuellen Maßstab zum allgemeingültigen, wie z. B. der Student, der das Diplomzeugnis einer Studentin fälscht, die wiederum illegale Methoden benutzt hat.
Gekonnt zeigt die Autorin an literarischen Fallbeispielen die unterschiedlichen Facetten der Moral. Vom klassischen Beispiel eines Mannes, der mit der Frau seines besten Freundes fremdgeht, bis hin zum sogenannten "Herrn Saubermann".
Gezielt hat die Autorin die Kurzgeschichte als literarische Gattung gewählt. Ganz im Sinne der potentiellen Leser. Sie sind neugierig, haben aber in unserer Schnelllebigkeit und permanenten Erreichbarkeit keine Zeit, sich in einen Roman zu vertiefen.
Sensationell ist der soghafte Fluss jeder Geschichte trotz prägnanter Kürze. Mit wenigen Worten zeichnet die Autorin Psychogramme, bereitet Entwicklungen subtil vor. Sie gibt 15 Protagonisten eine Stimme, die Einblicke in die Motivation ihres Handelns geben,
wie die Frau mit narzistischen Persönlichkeitsmerkmalen oder die Person, destruktiv durch ihren krankhaften Kaufrausch.
Der Autorin gelingt es in außerordentlicher Weise, dass der Leser dem Ende jeder Geschichte entgegenfiebert, sich fallen lässt in überraschende Wendungen oder in Fassaden, an denen der Protagonist selbst kollabiert, z. B. der Banker, der an seinen ausbeuterischen Praktiken zusammenbricht.