Dass gedruckte Literatur nicht in stummer LektĂźre zu rezipieren sei, sondern erst im performativen Modus der lebendigen Rede ihr ästhetisches Potential voll entfalte, ist eine Ăberzeugung, die um 1800 vielfach geäuĂert wird. In der vorliegenden Studie wird die deutschsprachige Deklamationsbewegung erstmals umfassend untersucht und, eine praxeologische Perspektive einnehmend, in ihre sozialhistorischen und ästhetischen Kontexte eingebettet. âşDeklamation um 1800âš bezeichnet eine im deutschsprachigen Raum florierende literarische Bewegung, die sich von etwa 1770 bis in die 1830er Jahre hinein groĂer Beliebtheit erfreut. Deklamation wird dabei zum Namen fĂźr eine besondere Form der Literaturperformance, bei der gedruckte Literatur nach bestimmten ästhetischen Prinzipien mĂźndlich vor Publikum dargeboten wird. In stadtbĂźrgerlichen Salons, in Lesegesellschaften oder aber als âşdeklamatorisches Konzertâš wird die ganze Bandbreite literarischer Gattungen deklamiert, vom Gedicht bis hin zu Prosatexten. Nicht zuletzt wird die Deklamationsbewegung ausgiebig publizistisch begleitet und es werden Versuche unternommen, die Deklamation als eine eigenständige Kunstform kunstästhetisch zu begrĂźnden. Die vorliegende Studie untersucht die Deklamationsbewegung insbesondere vor dem Hintergrund eines sich bildenden BĂźrgertums um 1800 und zeigt auf, dass das deklamierende Sprechen zu einem Vehikel bĂźrgerlicher Identitätsbildung und zu einem Experimentierfeld zur EinĂźbung von Sprechnormen wird.