Seit einigen Jahren ist ein erneuter Anlauf zu einer produktiven Konfrontation von Kritischer Theorie und Philosophischer Anthropologie zu beobachten. Unter Berücksichtigung der verborgenen Anthropologie der neueren französischen politischen Philosophie radikalisiert das vorliegende Buch diesen Ansatz in der Richtung einer Anerkennung des Leibs und der Primärvorgänge. Im Kontext der weltweiten Seuche, in der es entstanden ist, wurde immer plausibler, dass der Brennpunkt der Konfrontation in der Biopolitik als dem Kern des Politischen liegt. Neben einigen bereits erschienenen Aufsätzen, die zur Eingliederung in dieses Buchprojekt überarbeitet wurden, besteht der Band hauptsächlich aus unveröffentlichten Texten, die alle auf diese theoretisch-praktische Absicht fokussieren. Ausgehend von dem Aufruf, über den Anthropologieverdacht hinauszudenken, wird versucht, die Konfrontation der Kritischen Theorie mit der Philosophischen Anthropologie auf die Spitze zu treiben, damit der Kritischen Theorie nicht wieder die Impulse und Erkenntnismittel abhanden kommen, die sie beim Übergang von ihrer ersten Periode (dem Programm von 1937) zur zweiten (der Dialektik der Aufklärung) freigelegt hatte und die in den Entwürfen ihrer neueren Vertreter eher im Hintergrund stehen. Die letzten Kapitel verstehen sich als ein Beitrag zu dieser prospektiven Anwendung. Es könnte durchaus der Fall sein, dass die Philosophische Anthropologie keineswegs auf den Hund kommt, sondern trotz herrschenden Hundewetters in der Geschichtsphilosophie sich als unerlässlicher Anhaltspunkt erweist.
Der Autor:
Professor Gérard Raulet lehrte als ordentlicher Professor für deutsche Ideengeschichte an der Universität Paris-Sorbonne.