(0)

Anacharsis der Weise : Nomade, Skythe, Grieche

E-book


Der skythische Nomade Anacharsis wird zum ersten Mal bei Herodot (5. Jh. v. Chr.) erwĂ€hnt. Er ist der Fremde, der nach Griechenland kommt, sowohl um zu lernen als auch – da selbst ein Weiser – um anderen ein Lehrer zu sein. Er Ă€ußert sich durch knappe, oft witzig-ironische SprĂŒche, die von der Antike bis heute in den allgemeinen Spruchwortschatz eingegangen sind. Bei Herodot ist die nomadische Lebensform der Skythen das herausragende Differenzkriterium, da sie die Skythen in spezieller Weise unbesiegbar macht und sie daher, wie spĂ€ter nur die Athener, den fast ušbermĂ€chtigen Persern widerstehen können. In der Überlieferung des 4. Jh. v. Chr. gehört Anacharsis zum Kreis der 7 Weisen, wird aber in diesem Kreis als skythischer Nomade einerseits deutlich von den anderen Weisen (Solon, Thales, Bias, Periander etc.) abgegrenzt, andererseits als Kulturbringer beschrieben, dem die Griechen zivilisatorische Errungenschaften wie den Blasebalg, die Töpferscheibe und den doppelten Anker verdanken.Der Anlass fĂŒr die Ausgestaltung der Figur und ihre spĂ€tere, prominente Rolle im Kreis der Sieben Weisen ist sehr wahrscheinlich der Erfolg der Skythen gegenĂŒber den Persern gewesen, so dass insbesondere Herodot die GegenĂŒberstellung von sesshaften Griechen und nomadischen Skythen zum Paradigma erheben konnte. Dieser militĂ€rische Erfolg der Nomaden ist seither in der antiken Literatur mit der Lebensweise ohne StĂ€dte, ohne Mauern und ohne Äcker in Verbindung gebracht worden – mit einer Lebensweise, die als besondere Form der Ungebundenheit und Autarkie angesehen wurde. Sie galt einerseits als charakteristisch fĂŒr die Nomaden, andererseits wurde sie – seit Aritoteles – auch als Ausdruck von Freiheit und Demokratie betrachtet. Die UrsprĂŒnge dieser Überlieferung sind jedoch in der Integration des Nomaden in ein frĂŒhes, mythisch und geographisch geprĂ€gtes Weltbild zu finden, dessen erste Umrisse bereits bei Homer zu greifen sind. Die in dieser Konfiguration im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. eingeschriebenen Grenzlinien zwischen Eigenem und Fremdem, zwischen Sesshaften und Nomaden, zwischen Griechen und Skythen boten bereits so vielfĂ€ltige AnknĂŒpfungspunkte, dass sie in der weiteren Überlieferung je nach Kontext verwendet oder ausgedeutet werden konnten. Das Besondere an dieser Figur ist jedoch die VerknĂŒpfung von Weisheit und Nomadismus, die der Figur ĂŒber die GegensĂ€tze hinweg offenbar das verbindende Potential gegeben hat, die ihr erst das lange Nachleben ermöglichte.