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Bitterfelder Geschichten

E-book


Eine Reihe von Geschichten um das Chemiekombinat Bitterfeld hat Erik Neutsch in diesem Buch zusammengetragen und spĂ€ter alle in „Heldenberichte“ noch einmal veröffentlich. Es geht um einen Arbeiter, der einen Fernseher hat, aber keine Antenne zu kaufen bekommt, und so zum Dieb wird. Ein junger Arbeiter heiratet eine Frau mit Kind, was damals durchaus nicht normal war. Es geht um das VerhĂ€ltnis der erfahrenen Praktiker zu den Theoretikern von der Hochschule, um blinden Ehrgeiz, Ehrlichkeit, um die UnterstĂŒtzung der Arbeiterklasse bei der Kollektivierung der Landwirtschaft, 
 Neutsch stellt hier sein ErzĂ€hltalent unter Beweis. FĂŒr alle, die sich fĂŒr das Berufsleben in der DDR interessieren, eine unerschöpfliche Quelle.

LESEPROBE:

Beinahe wĂ€ren die beiden aufeinandergeprallt. Als Greiner um die Mauer bog, die den Park auf der einen Seite von den Hinterhöfen der angrenzenden MietshĂ€user trennte, stand das MĂ€dchen vor ihm. Es hielt erschrocken inne und sah dem Arbeiter groß in die Augen. Er merkte, wie es seine Blicke ĂŒber ihn hinweggleiten ließ. Er fĂŒhlte sich gemustert und errötete. Er glaubte nicht anders, als daß die Unbekannte seine Gedanken erriete, als daß sie den Grund seiner Anwesenheit erahnte.

Sie lachte. Silbern. Ein wenig zu schrill.

Greiner hatte sich das Wiedersehen völlig anders ausgemalt. Er hatte seine Schritte verlangsamen wollen, sobald er sie entdeckte. Ihre Gestalt wollte er abforschen, ihr Gesicht, ihre Haare, ihren Mund... Jetzt verwirrte ihn ihre NÀhe, und er senkte den Kopf und eilte von dannen. Als er sich nach ihr umdrehte, fand er sie nicht mehr.

Aber er war froh. Er hatte sie wiedergetroffen. Er wĂŒrde ihr wieder und wieder begegnen, tĂ€glich in diesem Park, der noch vor kurzem eine TrĂŒmmerstĂ€tte zerbombter HĂ€user gewesen war, den man angelegt hatte, um die Toten zu vergessen, die unter ihm lagen. Das schöne MĂ€dchen hatte ihm zugelacht, seine Stimme klang ihm in den Ohren nach. Sie waren nicht nur aneinander vorbeigelaufen, sie besaßen ab heute eine Gemeinsamkeit. Das halb erschrockene, halb belustigte Lachen der schwarzhaarigen Fremden hatte allein ihrer plötzlichen Begegnung gegolten. Außer ihm hatte es niemand gehört. Oder hatte sie ĂŒber sein törichtes Benehmen gelacht? DarĂŒber, daß er ĂŒber und ĂŒber rot geworden war?

Karl Greiner wollte mit sich allein sein. Noch einmal wollte er in Ruhe das Wiedersehen auskosten. Es verlangte ihn nicht, schon die elterliche Wohnung aufzusuchen.