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Das Proletariat

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"Proletariat" – war da nicht mal was? Irgendwas mit einer "revolutionĂ€ren Klasse" von "BrĂŒdern", die "zur Sonne, zur Freiheit" unterwegs sind, "des Menschen Recht" erkĂ€mpfen und dergleichen mehr?

Doch, da war mal was. Nicht bloß Lohnarbeiter hat es gegeben, die den Arbeitgebern die Arbeit machen – die gibt es nach wie vor –, sondern unter diesen Leuten verbreitet ein Bewusstsein von ihrer gemeinsamen materiellen Lage und ein BedĂŒrfnis, diese Lage grĂŒndlich zu Ă€ndern. Intellektuelle hat es gegeben, die, statt im Dienst der öffentlichen Ordnung und ihrer sittlichen VerklĂ€rung die Karriere zu machen, zu der sie eigentlich prĂ€destiniert waren, der herrschenden Symbiose von Ausbeutung, Gewalt, Zynismus und Dummheit den Kampf angesagt und in kommunistischen Parteien mit unzufriedenen Proletariern gemeinsame Sache gemacht haben. Eine aufrĂŒhrerische Arbeiter-Bewegung ist daraus entstanden, die sich gegen das System der Lohnarbeit zur Wehr setzen und die Macht erringen wollte, um die Herrschaft des Eigentums durch eine vernĂŒnftig geplante gesellschaftliche Arbeitsteilung zu ersetzen. Noch bis zur letzten Dekade des 20. Jahrhunderts hat ein ganzer Staatenblock fĂŒr sich in Anspruch genommen, genau diese Revolution zu betreiben oder sogar schon weitgehend geschafft zu haben; die Selbstbehauptungsmacht dieses BĂŒndnisses hielt den Standpunkt in Kraft, auf die Lohnarbeiter kĂ€me es ganz besonders an, weil denen "die Zukunft" gehöre, eine Zukunft ohne Ausbeutung und Rechtlosigkeit. Auch in den meisten "marktwirtschaftlichen" Demokratien des Westens hat dieser Standpunkt sich als mehr oder weniger lautstark vorgetragene Minderheitenmeinung lange gehalten, fast genau so lange wie der "reale Sozialismus" im Osten.

Sogar in der Bundesrepublik Deutschland, in der schon der Gebrauch des Wortes "Arbeiterklasse" die Aufmerksamkeit des Staatsschutzes erregte, fand noch in den Jahren nach '68 ein öffentlich wahrgenommener Versuch statt, so etwas wie einen "revolutionĂ€ren Klassenstandpunkt" wiederzubeleben; etliche Vereine hauptsĂ€chlich aus einer Studentenschaft, die durch den nationalen Betrieb angeödet war und sich ĂŒber die faschistischen Erblasten sowie ĂŒber die imperialistischen "Verstrickungen" ihrer mĂŒhsam demokratisierten Heimat empörte, haben sich dafĂŒr stark gemacht. Die angesprochenen Arbeiter deutscher Nation ließen sich dadurch allerdings nicht in die gewĂŒnschte "Bewegung" versetzen.

Mittlerweile ist es vollends still geworden ums Proletariat. Niemand traut ihm noch etwas zu: Die bĂŒrgerliche Staatsmacht findet beim besten verfassungsschĂŒtzerischen Willen keinen Anlass zur Sorge ums lohnabhĂ€ngige Fußvolk. Kein "MittelstĂ€ndler" fĂŒrchtet sich mehr vor einer aufstĂ€ndischen Arbeiterschaft. Der sozialkundliche Sachverstand der Nation vermag so etwas wie eine Arbeiterklasse noch nicht einmal mehr wahrzunehmen und triumphiert mit der Diagnose "Ende der Arbeitsgesellschaft" endgĂŒltig ĂŒber jedes "marxistische Gesellschaftsbild". Und das Proletariat – widerspricht nicht einmal. Es scheint sich selber fĂŒr eine optische TĂ€uschung zu halten, oder sogar bloß fĂŒr die böswillige Erfindung unzufriedener Marxisten. Ob es damit recht hat - oder nur endlich richtig liegt?