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Exportgut: Evangelium

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Wie König Heinrich VIII. auf den Index kam

Materielle und ideelle Interessen sind zu allen Zeiten eine Koalition eingegangen. FĂŒr die Reformationszeit veranschaulicht dies Rainer Haas in seinem mit viel Akribie zusammengestellten Verzeichnis evangelischer Literatur in englischen Ketzerprozessen "Exportgut Evangelium": "BĂŒcher kirchenkritischen und reformerischen Inhalts wurden - wenn sie nicht gar allein fĂŒr den Zweck des Exportes gedruckt worden waren - auf dem Markt aufgekauft, als Handelsware in ein anderes Land transportiert und dort - nach Möglichkeit mit gutem Gewinn - verkauft." (S. 3)

Dass die betreffenden Kaufleute außer dem unternehmerischen Risiko auch die Gefahr fĂŒr Leib und Leben auf sich nahmen, ergibt sich aus den kurzen Schilderungen ĂŒber die Entdeckung der verbotenen evangelischen BĂŒcher, mit denen Haas jeweils die Listen einleitet.

Die Darstellungen sind knapp gehalten, aber sie erhellen auch fĂŒr den weniger Kundigen den Entstehungskontext der jeweiligen BĂŒcherlisten. Anmerkungen mit weiterfĂŒhrender Literatur wĂ€ren hier hilfreich gewesen, denn die LektĂŒre macht neugierig und man wĂŒnscht sich, mehr zu erfahren ĂŒber die HintergrĂŒnde und ZusammenhĂ€nge. Aber Haas will vor allem das Material darbieten, stellt Grundlagen bereit, um anderen Hilfestellung fĂŒr ihre Forschung zu geben.

Hier liegt die StĂ€rke des Buches: Insgesamt 25 Listen evangelischen, indizierten oder verdĂ€chtigen BĂŒchern zwischen 1520 und 1546 werden dargeboten. Die in ihnen erwĂ€hnten Schriften werden im Folgenden bibliographisch aufgearbeitet.

Die Gliederung erfolgt alphabetisch nach den Autoren, denen auch ihre Pseudonyme zugeordnet werden. Ihre in den Listen mitunter nur nach dem Gehörten notierten Werke werden mit vollstĂ€ndigem Titel und entsprechender Ausgabe bibliographisch verifiziert. Ebenfalls wird vermerkt, in welchen Listen sie genannt werden, so dass sich dadurch ein Profil ĂŒber die Verbreitung bestimmter Werke erstellen lĂ€sst. Nur wenige Schriften ließen sich trotz intensiver Suche nicht nachweisen und werden am Ende des Buches als "Desiderata" aufgefĂŒhrt.

Ansonsten sind alle namhaften Reformatoren und der römischen Kirche verdÀchtigen Humanisten sind vertreten. Kurios hingegen mutet an, dass auch der Kölner Inquisitor Jakob von Hochstraten und sogar König Heinrich VIII. selbst in den Listen auftauchen.

Offenbar war der inkriminierte Name "Luther" in den Titeln ihrer eindeutig antireformatorischen Schriften bereits verdĂ€chtig genug, ohne dass eine genauere PrĂŒfung vorgenommen wurde.

Eine Liste mit Zuordnungen der anonymen Schriften und ein Literaturverzeichnis mit vor allem bibliographischen Werken runden das Buch ab.

Haas geht mit Sorgfalt und Vorsicht zu Werke. Alle unsicheren Angaben sind kenntlich gemacht. Der Lesbarkeit wĂ€re allerdings die Auflösung der AbkĂŒrzungszeichen fĂŒr m/n in den bibliographischen Nachweisen entgegen gekommen

Insgesamt aber ist "Exportgut: Evangelium" ein gutes und verdienstvolles Werk: Wer sich intensiver mit der Verbreitung reformatorischer Literatur in England wĂ€hrend der Reformationszeit beschĂ€ftigt, wird das Buch begrĂŒĂŸen. Es erleichtert die Erforschung der englischen Reformationsgeschichte. DarĂŒber hinaus ist es aber auch fĂŒr andere reformationsgeschichtliche Forschungen neben den bibliographischen Angaben vor allem durch die Zuordnung anonymer Schriften und Pseudonyme sehr hilfreich. "Exportgut Evangelium" ist ein Grundlagenwerk, das neue Forschungsperspektiven eröffnet. Es lenkt den Blick auf die Verbreitung und Rezeption evangelischen Gedankengutes, aber auch auf die Frage danach, was denn als "evangelisch" oder "ketzerisch" galt.