Ursula Schweiger-Stenzel stammt aus einer katholisch-jĂźdischen Familie. Ihr UrgroĂvater mĂźtterlicherseits war Kantor und Religionslehrer in Sechshaus (heute der 15. Wiener Gemeindebezirk), ihr GroĂvater wirkte bis zu seinem Lebensende im Jahr 1921 als Oberkantor im Leopoldstädter Tempel. Da der Vater Stenzels, AbkĂśmmling einer noch tief in der Monarchie verwurzelten Beamtenfamilie bei der Nordbahn, bedingungslos zu seiner jĂźdischen Frau hielt, und dank etlicher Helfer konnte die Familie trotz widrigster Umstände in Wien Ăźberleben. Am 22. September 1945 wurde Stenzel dann als zweites Kind ihrer Eltern geboren. Bis zum Einstieg in den Beruf belegte sie Publizistik, Politik und Zeitgeschichte an der Universität Wien und verbrachte viel Zeit bei ihrer in der DDR verheirateten Schwester, deren Ehe aber katastrophal endete.
Hochdramatisch liest sich daher der erste Teil der nun von Ursula Stenzel vorgelegten, reich bebilderten Autobiografie, in der sie auch auf das Schicksal der Schwester ihres Vaters und deren jĂźdischen Mannes eingeht, die unter dramatischen Umständen in die USA emigrieren konnten â Sozialdemokraten der ersten Stunde und Zeitzeugen der ersten Republik.
Im zweiten Teil wendet sich Ursula Stenzel ihrer journalistischen Karriere im ORF zu, wo sie als Nachrichtensprecherin zu einem der bekanntesten Gesichter des Landes wurde. 1995 holte Wolfgang SchĂźssel sie in die Politik, bis 2005 war sie Abgeordnete zum Europäischen Parlament und Leiterin der ĂVP-Delegation in BrĂźssel. Ihre Erinnerungen an diese Zeit sind ebenso gespickt mit Hintergrundinformationen und Anekdoten wie jene an ihre Laufbahn im ORF. 2005 wurde sie Bezirksvorsteherin im 1. Wiener Gemeindebezirk, wechselte jedoch 2015 zur FPĂ, fĂźr die sie in den Wiener Landtag einzog. Wie sehr sie â vom Tiefgaragenprojekt am Neuen Markt bis zum Kampf gegen das Hochhausprojekt am Heumarkt â nach wie vor fĂźr stadtpolitische Belange brennt, merkt man ihrem Buch ebenso an wie die tiefe Verbundenheit mit dem kulturellen Leben der Stadt. Von 1983 an war Stenzel bis zu dessen Tod 2009 mit dem Burgschauspieler Heinrich Schweiger verheiratet, dem sie ein eigenes Kapitel widmet.
Erfrischend ist Stenzels freimĂźtiges Bekenntnis zu verschiedenen "Hoppalas" und auch Fehlern. Ihr ehrlich-ungeschminkter Bericht Ăźber die Zeit als Politikerin, Ăźber ihr Verhältnis zu ĂVP und FPĂ ist versehen mit internen Einblicken und unerwarteten Erkenntnissen. Mehr als ein halbes Jahrhundert Ăśsterreichischer Geschichte wird in diesen Zeilen lebendig.