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Angelika

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Angelika ist eine ErzÀhlung von Theodor Storm.

Seit Jahren hatten im stillen seine Augen an ihren feinen ZĂŒgen gehangen; denn sie war aufgewachsen, wĂ€hrend er, wie auch noch jetzt, fast tĂ€glich in ihrem mĂŒtterlichen Hause verkehrte. Aber er war in einer erst in spĂ€tester Jugend eingeschlagenen Laufbahn, welche ihm die Aussicht auf BegrĂŒndung einer Familie fĂŒr immer oder wenigstens innerhalb der Jahre zu verwehren schien, in welchen Sitte und GefĂŒhl dies gestatten. Noch jetzt nach fast geschlossener Jugend ein anderes zu versuchen, vergönnte ihm der Umfang seiner Bildung und seiner Ă€ußern Mittel nicht. Alles dessen war er sich bewußt; oft und vergeblich hatte er auf Mittel gedacht, wie er die Geliebte, wenn sie ja sonst die Seine wĂŒrde, vor der geistigen und körperlichen VerkĂŒmmerung zu bewahren vermöchte, welche in dem Staate, dem seine Heimat angehörte, das gewöhnliche Los der Frauen seines Standes war. So gelangte er endlich dahin, in allen Gedanken an die Zukunft sein Leben von dem ihrigen zu trennen. Schon als sie noch kaum erwachsen war und wĂ€hrend ihre JungfrĂ€ulichkeit noch in fester Knospe lag, hatte er oftmals ihrer dargereichten Hand die seinige mit einer Ängstlichkeit entzogen, ĂŒber deren Ursache sie vergeblich nachgesonnen. Als aber allmĂ€hlich Angelika groß und selbstĂ€ndig geworden war, als auch ihre Augen die seinen zu suchen begannen, und erschrocken zurĂŒckfuhren, wenn sie ertappt wurden; als anderseits ihm die Möglichkeit des Verlustes immer nĂ€her rĂŒckte und er mitunter schon die Gestalt dessen zu erkennen glaubte, an den er sie verlieren wĂŒrde, da war endlich aller Erkenntnis und allen Willens unerachtet der Augenblick gekommen, in dem die Liebe ihr leidevolles Wunder zwischen ihnen vollbracht hatte.