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Die beiden Quellen der Moral und der Religion

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In seinem letzten grĂ¶ĂŸeren Werk Les deux sources de la morale et de la religion (1932) entwirft Bergson, ausgehend von seinem zentralen Begriff des Ă©lan vital, eine Ethik und Religionsphilosophie, die die beiden KulturphĂ€nomene Moral und Religion auf deren interne VerĂ€nderungskrĂ€fte prĂŒft. Dabei unterscheidet Bergson zwischen einer »geschlossenen Moral«, die wesentlich zur Selbsterhaltung einer Gesellschaft beitrĂ€gt und im Großen und Ganzen unser Alltagsverhalten bestimmt, und einer »offenen Moral«, die auf Freiheit, Menschlichkeit und Liebe beruht. Diese »höhere« Moral, die eine offene Seelenhaltung voraussetzt, verhĂ€lt sich zur »niederen« der geschlossenen Gesellschaft wie Bewegung zur Ruhe, Dynamik zur Statik, Freiheit zum Gesetz und steht fĂŒr das schöpferische Prinzip, das gesellschaftliche VerĂ€nderungen ermöglicht und hervorbringt. Diesen beiden Moralprinzipien entsprechen die beiden Formen der Religion: Der »statischen« Religion, die durch Riten und Zeremonien gesellschaftliche StabilitĂ€t erzeugt und die er als eine Art Abwehrmaßnahme gegen natĂŒrliche Bedrohungen bezeichnet, stellt Bergson die »dynamische« Religion gegenĂŒber, deren Wesen fĂŒr ihn in einem welt- und lebenszugewandten Mystizismus liegt, der am Ă©lan vital teilhat und ein lebensbejahendes Engagement herausfordert. Unter RĂŒckgriff auf christliche Mystik, buddhistische Kontemplation, aber auch die Alleinheitslehren von Platon und Plotin verweist Bergson 1932, am Vorabend des Faschismus und der europĂ€ischen Katastrophe, auf die Möglichkeit einer offenen, den Prinzipien des Universalismus verpflichteten Gesellschaft. Beigegeben ist der Aufsatz, den Ernst Cassirer unmittelbar nach Erscheinen der deutschen Ausgabe 1933 fĂŒr die jĂŒdische Monatszeitschrift »Der Morgen« verfasste.