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Lioba wechselt die Saite

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Völlig nackt steht Lioba auf einer Bank vor dem Hauptbahnhof und ruft in die Menge: "Wer will mich?" Alle glotzen sie an, doch keiner schreit "Hier!"

Schweißgebadet wacht sie auf, schĂŒttelt sich, um dieses entsetzlich peinliche GefĂŒhl loszuwerden, und beschließt, sich umgehend von den Partnerbörsen im Internet wieder abzumelden.

Nun hat sie sich damit abgefunden, dass es zurzeit keine unverhoffte Hauptrolle fĂŒr sie gibt. Nein, in ihrem Inneren ist nichts, das morgen flĂŒstert, morgen ist der Tag aller Tage, morgen passiert etwas Ungeahntes, etwas Wundervolles.

Da ĂŒberredet sie ihre beste Freundin, mit auf ein mittelalterliches Fest zu gehen. Lioba fĂŒhlt sich zunĂ€chst völlig fehl am Platz und ĂŒbe sich im FremdschĂ€men. Doch als die "Galgenvögel" mit ihren frivolen Liedern vergangener Zeiten loslegen, lĂ€sst sie sich mitreißen. Vor allem der Hexengeiger hat es ihr angetan, denn der zieht alle Register seines Könnens.

Zu Hause kramt Lioba ihre Geige hervor, die sie jahrelang der Familie geopfert hat, und spielt die eingĂ€ngigen Melodien nach. Als Geschiedene hat sie jetzt mehr Zeit, als ihr lieb ist, zumal die beiden Töchter studieren und aus dem Haus sind. In ihren Beruf als Grundschullehrerin will sie auf keinen Fall zurĂŒck, denn sie hat sich geschworen, nie mehr zusammen mit grölenden Gören Rabimmel-Rabammel-Rabumm zu singen, zu keinem Sankt Martin der Welt.

Nur kurze Zeit spÀter geben die "Galgenvögel" wieder ein Konzert. Die Burgmauern vibrieren, Besucher und Liverollenspieler sind dicht gedrÀngt, die Menge ist kaum noch zu halten, die AtmosphÀre lÀdt sich ekstatisch auf.

Und fĂŒr Lioba bricht die Nacht aller NĂ€chte an