Der Erzähler von Georgi Gospodinovs zweitem Roman leidet an ĂźbergroĂer Empathie: er kann und muss sich in alles und jeden einfĂźhlen und erlebt dann, was diese anderen erleben â ob das nun sein GroĂvater am Beginn des 20. Jahrhunderts war, der kleine in ein Labyrinth weggesperrte Minotauros oder eine Schnecke, die gerade verschluckt wird. Aber auch, dass die Zeit unwiederbringlich vergeht, macht ihm zu schaffen; und er geht mit Zeitkapseln dagegen vor: Behälter, in die alles hineinkommt, was fĂźr die Gegenwart wichtig ist. Aber was ist wichtig? Zu diesem Zweck wiederum mĂźssen Listen angelegt werden, eine im alten Ostblock bei Kindern und Jugendlichen ohnehin beliebte Praxis âŚ
Aus zahlreichen kurzen poetischen Kapiteln komponiert Gospodinov einen melancholischen Roman, der â wie oft bei Melancholikern â amĂźsiert und Ăźberrascht, und unterstreicht damit nachhaltig seinen weltliterarischen Rang. Seine Vergegenwärtigung altgriechischer Mythen ist ebenso denkwĂźrdig wie seine Erinnerung an 40 Jahre bulgarischen Kommunismus. Und dass das Festhalten des gegenwärtigen Augenblicks eine vergebliche Aufgabe ist: es hindert ihn nicht daran, sich dieser Aufgabe von Seite zu Seite immer wieder neu zu stellen.