"Die Leere von Allem oder die Nichtleere, die Wahrheit oder die Unwahrheit werden nicht gefunden. Nachdem die heiligen Lehrbücher innerlich erkannt worden sind, wird dies aus dem Sein des eigenen Seins heraus verkündet."
Avadhuta-Gita 1.76
Die Vedanta-Philosophie Indiens weist vielfältige Strömungen und weltanschauliche Konzepte auf. Grundsätzlich geht es ihr aber immer um das Höchste (paramartha) und die letztendliche Erkenntnis der Wahrheit (tattvabodha). Neben aller Orthodoxie, die den Vedanta später fast zu einer Theologie werden lässt, besitzt diese Tradition ein starkes Moment der Kulturtranszendierung. Das Unbedingte zu erforschen, zu erkennen und damit in die Einheit mit diesem zu gelangen beinhaltet den Drang zur Universalität, zum Aufbrechen gesellschaftlicher Grenzen und Konventionen.
Viele Texte des Vedanta sind nicht aus der Perspektive des Alltagsbewusstsein geschrieben worden. Vielmehr vertreten sie die Perspektive, die Welt mit den Augen eines Erlösten zu betrachten. Die göttliche Wirklichkeit betrachtet sich selbst in ihrer Fülle, vor der die bedingte Wirklichkeit in ihrer Bedeutung verblasst, aber nicht verschwindet. Die Einheitswirklichkeit umfasst Einheit und Vielheit, d.h. innerhalb der monistischen Struktur bleibt die Pluralität bestehen.
Am Beispiel der Avadhuta-Gita werden in einem Nach-Denken über die Verse deren Erfahrungsdimension, deren Assoziationsfelder, deren Bildsprache und deren Komposition als Methode zur meditativen Vertiefung betrachtet. Der Text spielt mit Konzepten und Begriffen und will gerade dadurch die Freiheit von einschränkenden Mustern erzielen.
Zum Autor:
Prof. Dr. Martin Mittwede lehrt Religionswissenschaft und praktische Philosophie an den Universitäten Frankfurt und Köln. Seine Forschungsschwerpunkte sind Hinduismus und Buddhismus, die ayurvedische Heilkunde und ihre philosophischen Grundlagen, sowie Religionspsychologie. Mehr Infos unter www.mittwede.net.