Wie immer ging es um Drama, Sex and Crime: Der Psychiater Richard von Krafft-Ebing nutzte die persönlichen Lebensgeschichten seiner Patienten als Anschauungsmaterial in seinen FachbĂŒchern, um das Interesse einer breiteren Leserschaft zu gewinnen. So hatten gewalttĂ€tige EhemĂ€nner, deviante Sexualpraktiken und tötende Psychopathen ihren Auftritt in Krafft-Ebings ungemein erfolgreichen wissenschaftlichen Texten.
Die Geschichten kamen aus dem echten Leben des spĂ€ten 19. Jahrhunderts â und sie haben Spuren in den handschriftlichen Aufzeichnungen Krafft-Ebings hinterlassen, denen Sabine Ohlenbusch in ihrem Buch nachgeht.
Besonders Krafft-Ebings »Psychopathia sexualis« wurde auch einem Laienpublikum durch die oft anzĂŒglichen FĂ€lle bekannt, die er hier ausbreitet. Wie es dazu kam, wird erst vor dem Hintergrund der weniger bekannten, aber fuÌr die Psychiatrie der Zeit eminent wichtigen Schriften deutlich. Besonders das klinische Lehrbuch der Psychiatrie entfaltete seine Bedeutung durch eine seinerzeit innovative kleinteilige Gliederung in psychiatrische Krankheitsbilder. Diese ordneten die Krankengeschichten aus Krafft-Ebings Ă€rztlicher Praxis. Er schrieb die FĂ€lle auf kleine Zettel, machte farbige Anmerkungen, sortierte die Notizen und klebte sie zu Manuskripten zusammen, um so das Anschauungsmaterial fĂŒr seine Werke zu gewinnen. Hinter den weit verbreiteten und beliebten BĂŒchern standen die Schreibstrategien eines Lehrbuchverfassers, der Texte fuÌr seine wissenschaftliche Karriere, fĂŒr die Etablierung der Psychiatrie als medizinisches Fach und nicht zuletzt im Sinne der finanziellen Interessen seines Verlegers schrieb. Wissen in FĂ€llen zeigt eindrĂŒcklich, wie Krafft-Ebings Schreibpraxis seine BĂŒcher und die Psychiatrie popularisierte.