Wie politisch sind unsere Schriftsteller? Allem Gerede vom Verstummen der engagierten Literatur zum Trotz: Schriftstellerinnen und Schriftsteller mischen sich ein. Sie thematisieren Probleme und MissstĂ€nde, die von der Politik tabuisiert sind und in den groĂen Medien oft zu kurz kommen. Die Einmischung der Literatur leugnen kann nur, wer einem bĂŒrgerlichen LiteraturverstĂ€ndnis folgt und sich ganz auf den Gegenwartsroman fixiert. Denn seit Jahren findet sich die Befassung mit brisanten politischen Themen auch und gerade in der Spannungsliteratur, im Jugendbuch oder in der Poesie. Thomas Wagners Interviews zeigen die Vielfalt heutigen Engagements und der beteiligten literarischen Gattungen. Die GesprĂ€che sind so unterschiedlich wie die kĂŒnstlerischen Werke, doch sie machen eines deutlich: Inmitten der deutschsprachigen Literatur entsteht derzeit eine regelrechte Ideenwerkstatt fĂŒr konkrete Utopien â sprachlich ĂŒberzeugend, sachkundig und politisch vorwĂ€rtsweisend. GesprĂ€che mit Dietmar Dath, Raul Zelik, Juli Zeh, Ilija Trojanow, Robert Menasse, Wolfgang Schorlau, Sabine und Saddek Kebir, Erasmus Schöfer, Michael Wildenhain, Sabine Kuegler, JĂŒrgen Todenhöfer, Wladimir Kaminer, Eva Jantschitsch (»Gustav«), Kai Degenhardt, Biermösl Blosn, Erwin Riess, Christine Lehmann, Dagmar Scharsich, Michael MĂ€de, Matthias Frings. âIch bin in der luxuriösen Situation, eine Art Plattform fĂŒr Ansichten zu haben, und die nutze ich.â Juli Zeh âMomentan ist alles sehr zersprengt. Gewerkschaftliche Arbeit, politische Publizistik â das mĂŒssen wir alles neu lernen, unter nicht mehr sozialpartnerschaftlichen Bedingungen, sondern wieder antagonistischen.â Dietmar Dath âEigentlich mĂŒsste es eine ErschĂŒtterung der herrschenden Gewissheiten geben. Stattdessen existiert so eine sozialdemokratische SchönheitsoperationsmentalitĂ€t.â Ilija Trojanow âIn unserer Gesellschaft ist noch nicht angekommen, dass die Unterscheidung in weibliche und mĂ€nnliche Rollen nicht sinnvoll ist und vor allem den Frauen schadet, sie zuweilen sogar das Leben kostet, wenn man das Gebaren der Kriegsherren betrachtet.â Christine Lehmann âDas Prinzip, dass das Kapital sich immer weiter verzinsen muss, dass tatsĂ€chlich alles andere untergeordnet wird, dieses Prinzip ist verrĂŒckt, weil es nach oben keine Grenzen kennt.â Wolfgang Schorlau âAlles wird privatisiert. Alles wird diesem Gentrifizierungswahn ausgesetzt. Ich möchte einen Ort haben, auf den diese Strukturen und Ordnungen keinen Zugriff haben.â Eva Jantschitsch (âșGustavâč) âIch will HerrschaftsverhĂ€ltnisse kenntlich machen, die hier und heute in der Mainstream-Kunst und den Medien gerne verschleiert werden.â Kai Degenhardt âIch bin offen gestanden, nennen Sie mich ruhig einen Idealisten, der Meinung, dass das Publikum nicht dumm ist.â Matthias Frings âDas schreiende Unrecht auf dieser Welt bleibt fĂŒr die meisten Menschen abstrakt und wird verdrĂ€ngt. Man kann ja umschalten. Wozu gibt es eine Fernbedienung. Dagegen schreibe ich an.â Michael MĂ€de âAus der DDR gerettet habe ich meine Sozialisation, mich mit anderen solidarisch fĂŒhlen zu wollen. Das war damals unser ganz groĂes Pfund.â Dagmar Scharsich âIch halte die Antiterrorpolitik gegenĂŒber Afghanistan, Irak und anderen muslimischen Staaten fĂŒr eine Sackgasse, weil sie unintelligent, uninformiert und unmoralisch ist.â JĂŒrgen Todenhöfer âDer Staat ist ein facettenreiches und widersprĂŒchliches Feld, auf dem man sich illusionslos bewegen muss.â Raul Zelik âIch bin fĂŒr eine Verfassung, die die Grundlage fĂŒr das Handeln der BĂŒrger bildet.â Robert Menasse âIn einer menschlichen Gesellschaft wĂŒrde der Mensch an Stelle des Kapitals stehen. Die Menschen werden dann vermehrt, gestreichelt und gebildet.â Wladimir Kaminer