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Die Geister von Thorland

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Anfang Juli 1985 brachten verschiedene Tageszeitungen folgende Meldung:

"Dem FĂ€hrschiff Saßnitz, das an den Wochenenden zwischen Saßnitz (RĂŒgen) und Rönne (Bornholm) verkehrt, fiel östlich des 14. LĂ€ngengrades und sĂŒdlich des 55. Breitengrades aus ungeklĂ€rten GrĂŒnden kurzzeitig die Radarortung aus: Die Radarantenne fuhr Karussell. Ebenso ungeklĂ€rt sind eine dichte Nebelwand bei strahlendem Sonnenschein und hohem Luftdruck sowie eine rĂ€tselhafte Wellenfront bei spiegelglatter See in der Höhe des Adlertiefs."

Niemand wÀre seinerzeit darauf gekommen, dass an dieser Stelle, mitten in der Ostsee einst das nördlichste souverÀne Herzogtum Thorland gelegen hatte. Es musste im Jahre 1885 untergehen wie einst die legendÀre Stadt Vineta. Auch seine Bewohner hatten damals nicht gut getan.

C. U. Wiesner erzĂ€hlt die fesselnde und anrĂŒhrende Geschichte vom Untergang und Wiederauftauchen Thorlands und fĂŒgt als Beweis einen reich bebilderten 32-seitigen OriginalreisefĂŒhrer des Herzogtums von 1885 bei. Aus diesem erfĂ€hrt man u. a. von seltenen Tieren, die es nur auf dieser Insel gegeben hat, etwa dem Bockschwein, dem Feuerdingo oder dem KurzschwĂ€nzigen ThorlĂ€ndischen Vielfraß.

BĂŒcher haben ihre Schicksale. Die Geister von Thorland wollte der Eulenspiegel Verlag plangemĂ€ĂŸ im II. Quartal 1989 auf den Markt bringen. Dann aber verschlang der allerletzte Parteitag der SED soviel von dem ewig knappen Druckpapier, dass so manches Verlagsvorhaben zurĂŒckstehen musste. Vielleicht war das fĂŒr die Sicherheit des Autors gut so, nicht jedoch fĂŒr sein Werk, in dem er auf mĂ€rchenhafte Weise den Fall der Mauer vorhersagte.

Als es endlich in die Buchhandlungen gelangte, interessierte es keine Sau mehr, denn knapp sechs Wochen vorher war tatsÀchlich die Mauer gefallen, und die DDR-Literatur war, wie man heute sagt, mega out. Nun aber hofft der Verfasser, dass sein Buch wie dermaleinst das kleine Inselreich Thorland eine Chance zum Wiederauftauchen bekommt.