Zentrales Thema im Debüt der Bündnerin Lea Catrina ist das Verschweigen von Familientraumata. "Die Schnelligkeit der Dämmerung" schafft es in einer reduzierten aber stets poetischen Sprache genau dieses Schweigen einzufangen und den Keil sichtbar zu machen, der sich zwischen Menschen schiebt, wenn sie aufhören, über ihren Schmerz zu sprechen.
Als Olivia vier Jahre alt ist, stirbt ihr Bruder. Ein Jahr später verlässt der Vater die Familie. Wir treffen die Protagonistin als erwachsene Frau in einer europäischen Stadt Ende der Neunziger Jahre. Olivia füllt jede Minute mit Arbeit, Nebenjob, Alkohol - und den Besuchen bei ihrer Mutter in der Psychiatrie. Mehr und mehr gerät Olivias sorgfältig aufgebaute Kulisse jedoch in Schieflage. Für ihre Zerrissenheit und Verlorenheit fehlen ihr die Worte. Nach einem One-Night-Stand bricht sie mit ihrem bisherigen Leben, brüskiert die Menschen um sich und flüchtet mit ihrer Mauer aus Schweigen zu ihrer Tante ans Meer.
Über die fein gezeichneten Charaktere und einer kraftvollen, nachhallenden Sprache macht die Autorin Ohnmacht, Wut und Schweigen um ein Familiengeheimnis den Lesenden zugänglich. "Die Schnelligkeit der Dämmerung" zeigt eine emotionale Reise weg vom Schweigen, weg von der Verdrängung hin zu Konfrontation und Aufbruch.