Welcher Autor wĂŒrde sich mehr dazu eignen, interkulturell gelesen zu werden, als Jacques Derrida (1930-2004), ein französischer StaatsbĂŒrger, der als Araber in Algerien in einer Familie jĂŒdischen Glaubens geboren ist?
Derrida hat nach seinen eigenen Worten âșniemals wirklich aufgehörtâč in diesem arabisch-islamischen Land zu wohnen, obwohl er schon in jungen Jahren nach Frankreich ĂŒbergesiedelt ist, wo er sich im Blick auf dessen Sprache und Kultur zutiefst integriert hat. Und er hat die Grundfragen des jĂŒdischen Glaubens, daĂ Gott nicht erkannt werden kann und nicht genannt werden darf, zum Angelpunkt seines Denkens gemacht. Seine Dekonstruktion der europĂ€isch-westlichen Philosophie, insbesondere Platons, Rousseaus, Hegels und Husserls, als phonozentrisch weitet er in seiner Grammatologie (1968) aus zu einer Kritik am Ethnozentrismus dieser philosophischen Tradition.
Der Kern von Derridas Haltung anderen Kulturen gegenĂŒber ist der Respekt vor dem Anderen, den er im Sinn von Levinas radikal zu denken sucht. Zwischen der Dekonstruktion (der europĂ€isch-westlichen Philosophie) und der Dekolonisation (Afrikas) sieht er (als Afrikaner) eine strukturelle Ăbereinkunft, sofern beide ihren Weg finden mĂŒssen, ohne das Ziel zu kennen. Die europĂ€isch-westliche politische Kultur, die auf dem Weg zur Demokratie ist (und bleibt), ist seiner Ansicht nach nicht ein Modell fĂŒr den Rest der Welt, sondern ein âșVersprechenâč, auf das sich jedes andere Land in anderen Weltteilen auf seine Weise berufen kann. Indem er âșunbedingte Gastfreundschaftâč geradezu mit Ethik identifiziert, setzt er ein unĂŒbersehbares Zeichen fĂŒr die Diskussion inter- und multikultureller Fragen. Das ist nicht als Ideal gemeint, das nie ganz verwirklicht werden kann, auch nicht als âșregulative Maximeâč im Sinne Kants, nach der man handeln soll, âșals obâč sie bestĂŒnde, sondern als âșMessianikâč ohne Messianismus, als etwas das Zukunft ist und bleibt und als solches das Denken und Handeln bestimmt.