Was glaubte Martin Luther und was wollte er erreichen? Wie kĂśnnen wir ihn heute wieder entdecken und neu verstehen? Was wĂźrde Luther zum Zustand der christlichen Kirchen sagen? Nach 500 Jahren Spaltung zieht der Theologe und Lutherkenner Eugen Drewermann eine schonungslos kritische Bilanz. Haben die Katholiken dazugelernt? Und was haben die reformatorischen Kirchen aus ihrem Erbe jenseits allen Streits und abwegigen Debatten gemacht, was ist ihnen geblieben? Im Gespräch mit dem Publizisten JĂźrgen Hoeren erschlieĂt Eugen Drewermann eine Sicht auf Luther, die das Grundanliegen des Reformators wieder ernsthaft in den Blick nimmt: dass der Mensch von Gott vorbehaltlos angenommen und gerecht gesprochen ist. Den Kern lutherischen Denkens und seine praktischen Folgen gilt es wiederzuentdecken: theologisch, anthropologisch, psychologisch â gerade auch in einer so krisengeprägten Zeit wie heute.
"Durch Luther wurde etwas bewusst, das innerhalb der Glaubenstradition längst Gegenwart war: statt die Botschaft der Einheit, die Jesus in die Welt bringen wollte â zwischen Gott und Mensch, zwischen Himmel und Erde, zwischen Heiligen und SĂźndern, zwischen Tempel und Profanem â, kreativ aufzugreifen und weiterzufĂźhren, haben 1500 Jahre Kirchengeschichte in katholischer Obhut die Spannungen zementiert. Luther hat, stellvertretend fĂźr eine ganze Zeit, in seiner Gegenwart und fĂźr die Jahrhunderte danach, diese Zerspaltenheit gefĂźhlt, durchlitten und auf seine Weise zu artikulieren und zu Ăźberwinden unternommen. Es wäre historisch unfair, der Person Luther vorzuhalten, dass er am Anfang des 16. Jahrhunderts nicht auf den Neuaufbruch seiner Zeit, auf das ungeheuer Widersätzliche in seiner Zeit, mit einer geschlossenen systematischen Betrachtung antworten konnte. Er hat es von Fall zu Fall an den Stellen getan, an denen er es evident als notwendig spĂźrte. Darum ist er in meinen Augen in seiner ganzen Biografie nicht im Jahre 1517 am grĂśĂten, sondern 1521 auf dem Reichstag in Worms.