"Fluchtafeln" (lt. defixiones) sind Primärzeugnisse eines in der griechisch-römischen Antike weitverbreiteten Schadenzauberrituals. Nach ihrer Beschriftung wurden die dünnen Bleilamellen manipuliert und an "magischen" Orten, z.B. Gräbern oder Brunnen verborgen. Aufgrund ihrer Entstehungsumstände halten die Zaubertexte eine historische Äußerung in unmittelbarer Rede fest. Lohnenswert ist daher nicht nur eine Untersuchung des verwendeten "Vulgärlateins", vielmehr erlaubt gerade die pragmalinguistische Perspektivierung der defixiones Aussagen über Reichweite und Machtpotential des rituell geäußerten Wortes: Die Zauberformeln versprechen eine Auswirkung auf eine andere Person in absentia. Hierbei kann die Mitwirkung eines übernatürlichen Kommunikationspartners mitgedacht sein, daneben reflektiert sich aber auch die Vorstellung von der unmittelbaren Selbstwirksamkeit des Wortes, das die gewünschten Effekte "automatisch" hervorbringt. Damit läuft "magische" Sprachverwendung den gängigen Konzepten von Sprache zuwider und macht ihre Neusichtung notwendig. Die Analyse dieser Aspekte erfolgte auf der Grundlage eines elektronischen Corpus aller bekannten lateinischen defixiones, die neu gesichtet und z.T. ediert wurden.