Die neunzehnjährige Erle, deren Freund Matti zur Armee einberufen wird, lernt einen kubanischen Studenten kennen. Sie will Matti nicht weh tun und führt ein Doppelleben, das sie in Konflikte bringt. Als Orestes plötzlich nach Kuba zurückmuss, kümmert sich Erle nicht mehr um Studium und Prüfungen, dabei wäre sie gern Lehrerin geworden. Probleme über Probleme, aber Erle schlägt alle Hilfsangebote aus.
LESEPROBE:
Das muss Liebe sein.
Mein Verstand macht mir Vorwürfe, aber ich komme mir schön und glücklich vor.
Ich werde an Matti schreiben: Du, ich habe jemanden kennengelernt und glaube, bisher gar nicht gewusst zu haben, was Liebe überhaupt ist.
Das kann man nicht schreiben.
Draußen ballt sich Schnee. Im All ziehen Gestirne ihre Bahn. Feuchtigkeit dringt in Poren und Kleider. Noch nie habe ich das Wort „ich“ so bewusst gedacht. Ich, ich bin mehr als eine Königin.
Oft wusste ich nicht, was ich von einem zum anderen Tag wollte. Heute weiß ich es: Ich will ihn wiedersehen.
Ist mein starkes Gefühl eine große Untugend?
Ich weiß: Das ziemt sich nicht, das ist frivol, du bist untreu, ein Luder, nicht verkommen, also noch zu retten; aber wenn du so weitermachen solltest, dann sieht man dich nicht mal mehr durch den Zaun an.
Das kann man von mir sagen. Die Leute können sich von mir aus die Finger steif zählen, wenn sie mir sagen wollen, was ich alles bin.
Es ist mir egal.
Über Nacht taut es. Der Boden verliert die schützende Schneedecke, aber dann setzt wieder Barfrost ein, der sich in die nackte Erde beißt.
Nun wird mir bange. Ich warte auf ein Zeichen. Hundertmal sehe ich sein Bild, in Straßen, an Haltestellen, hinter Fenstern, in unserem Zimmer. Ich werde noch tagblind.
Bang wird mir, weil ich denke: Ob er sich an mich erinnert? Ob er mich wiedersehen will? Da soll man heiter und festbleiben. Ich schreibe den Satz auf den Zettelblock in unserem Zimmer: Für mich gibt es nichts Schöneres auf der Welt als ein Liebespaar, und wenn ich jemanden sagen höre, lieben bedeutet, die eigene Freiheit und Integrität zu verlieren, frage ich, ob wir von demselben Gefühl sprechen. Der Satz stammt von Anne Philipe. Aber zur Zeit, da ich ihn noch nicht wiedergesehen habe, fühle ich mich unfrei.
Manchmal schreibt mir Mattis Mutter. Sie ist eine berühmte Briefschreiberin, sie schreibt täglich an irgendwen.