Thomas von Aquin macht sich den Gedanken der frühen christlichen Theologie zu eigen, daß Gott mit allen Namen benennbar ist, weil im Grunde mit keinem Namen: omninominabilis quia innominabilis. Unsere Rede von Gott kann keine eigentliche sein, sondern nur eine analoge. Denn wir wissen von Gott nicht, wer er ist, sondern nur, wer er nicht ist. Er übersteigt alles menschlich Faßbare. Wenn wir von Gott sprechen, sind wir auf die Worte der menschlichen Erfahrungswelt angewiesen. Diese ist vielgestaltig, und ebenso vielgestaltig ist unsere Rede über Gott. Allerdings müssen unsere Worte einen erkenntniskritischen Transformationsprozeß durchlaufen, der sie aus der Enge und Endlichkeit der menschlichen Vorstellungswelt herauslöst und ihnen eine unendliche Bedeutungsdimension verleiht. Die Vielfalt menschlicher bzw. religiöser Erfahrungswelten - und die daraus resultierende Vielfalt des Sprechens - sind aus dieser Sicht kein Hemmschuh und kein Unglück, sondern eine Bereicherung der Möglichkeiten der menschlichen Rede über Gott, der durch keine Worte erschöpfend benannt werden kann.
Die islamische Lehre von den 99 Namen Allahs so wie zahlreiche Stellen der Upanishaden können in eben diesem Licht gedeutet werden.
Zum Autoren:
Jürgen Hengelbrock, geboren 1942, ist Professor am Philosophischen Institut der Ruhruniversität Bochum. Studium der Philosophie, Romanistik und kath. Theologie in Innsbruck und Paris. Arbeitsgebiete: Französische Philosophie des 20. Jahrhunderts, Interkulturelle Philosophie, Afrikanische Philosophie, Philosophie der Erziehung. Fachberater für Philosophie an den Schulen der Europäischen Gemeinschaft (Brüssel).