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Fast ein Jahrhundert

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Am 15. Dezember Anno Domino 1902 wurde in Straßen bei Eldena dem BĂŒdner Heinrich Schult und seiner Ehefrau Anna geborene Bergmann ein MĂ€dchen geboren und getauft auf den Namen Alma 


„Ein langes Leben - ja, aber kein besonderes“- mag mancher sagen, der die ErzĂ€hlung liest. Aber den Alltag zu bewĂ€ltigen in diesem 20. Jahrhundert, das zwei Weltkriege, Inflation und Mangeljahre einschließt, verlangte den Menschen viel ab. Und so prĂ€gte sich ein Verhalten, das heute mitunter Stimrunzeln auslösen mag, aber in der Generation in dem mecklenburgischen Landstrich nicht untypisch ist. Herkunft und Erziehung prĂ€gten WertmaßstĂ€be, die erhalten blieben, auch außerhalb des Dorfes und der dortigen Familie.

LESEPROBE:

AllmĂ€hlich richten sich Almas vier von acht Geschwistern, die den Krieg ĂŒberlebt haben, nach und nach ihr eigenes Leben ein.

Ida heiratet als Erste - am 16. Oktober 1920 - Karl Möller in Menkendorf.

Wilhelm als nun Ă€ltester Sohn wird Hoferbe und heiratet am 22. November 1920 seine Cousine Emma, die auf dem „Kalverstiert“ (KĂ€lberschwanz), einem anderen Ende von Eldena, aufgewachsen ist. (Ihr Vater Karl Schult war ein Bruder von Wilhelms Vater, Heinrich Schult.)

Emma und Richard gehen nach Hamburg, was aus Eldenaer Sicht eigentlich schon als Ausland gilt. Emma heiratet am 22.12.1923 Ludwig Langner und lebt in Waldenau. Richard findet Arbeit im E-Werk und heiratet fast genau ein Jahr spĂ€ter Auguste Nowak. Inzwischen aber lebt Alma schon in Schwerin. Ihre Hochzeit war am 16. November 1923 in Eldena. Von diesem Ereignis sollte ein Foto kĂŒnden.

Aber der Fotograf kam nicht. Zu schade!

Dann endlich, zwei Tag spĂ€ter, hieß es: „Fix, nu is he dor!“ (Schnell, jetzt ist er da)

Fix strakte Alma sich das Brautkleid ĂŒber samt Schleier und trat mit August feierlich vor die Plattenkamera mit Stativ. Erst als die AbzĂŒge entwickelt waren, wurde das Desaster deutlich: die Haare wild aufgeplustert, der Unterrock hing in Zipfeln unter dem Kleidersaum heraus. Wenn auch nicht sehr wĂŒrdevoll, aber sie hatte ihr Bild.

AnlĂ€sse nach Hamburg zu fahren, gab es ja nun auch. August in Ausgehuniform mit blank poliertem SĂ€bel, Alma in neuem Kleid und Stöckelschuhen. Doch das UnglĂŒck schlĂ€ft nie. Lag es nun daran, dass sie Likör gegen den Durst getrunken hatte, jedenfalls geriet sie mit einem Absatz in eine Pflastersteinfuge und der Absatz brach ab. August genervt, zĂŒckte den SĂ€bel und hieb den zweiten Absatz auch noch ab. (Nun wusste man doch, weshalb ein SĂ€bel zur Ausgehuniform gehört!).