Philologie der Kultur

Wieviel KalkĂŒl verbindet sich mit der Wiederverwendung eines spezifischen Strophentyps? Um 1200 kreiert der von der literarischen Nachwelt hochverehrte Wolfram von Eschenbach – im gleichzeitigen RĂŒckgriff auf die heldenepische Langzeilen- und die Kanzonenstrophe des Minnesangs – die sogenannte Titurelstrophe. Mit dieser neuen Form soll abweichend vom klassisch-höfischen Paarreim die ErzĂ€hlwelt rund um die berĂŒhmte GralshĂŒter-Familie ausgestaltet werden, die Wolfram bereits in seinem Parzival profiliert hat. Gerade auch weil Wolframs Text immer Fragment geblieben ist, haben sich in der Folge zahlreiche Dichter des SpĂ€tmittelalters der Formneuschöpfung des bewunderten Meisters bedient und der Titurelstrophe damit zu einer 300 Jahre wĂ€hrenden Tradition verholfen. Die vorliegende Untersuchung nimmt sich dieser strophischen Traditionslinie an und untersucht dabei, in welchen historisch sich wandelnden Kontexten und bei welchen Folgeautoren der Formtypus zur Anwendung, ja zu neuem Prestige gelangt und wie sich dabei sowohl althergebrachte Funktionen des Formgebrauchs wie auch gĂ€nzlich neue Form-Funktions-ZusammenhĂ€nge konstatieren lassen. Einen Schwerpunkt setzt die Arbeit bei der Jagd Hadamars von Laber, der die Strophe in einem liebesallegorischen Setting wiederverwendet hat und damit Wegbereiter zahlreicher Minnereden war, die die Titurelstrophe allesamt fĂŒr ein liebesdidaktisches ErzĂ€hlen auf vielfĂ€ltige Weise refunktionalisiert haben.