Mit seinen religiĂśsen und sozialkritischen Schriften erreichte der Dichter Leo N. Tolstoi (1828-1910) schon zu Lebzeiten eine Leserschaft auf dem ganzen Globus. Die aus Russland kommende Botschaft der Gewaltfreiheit inspirierte viele Menschen zu einem neuen Weg der Befreiung. Sie hat zeitweilig sogar die "Weltgeschichte" mit verändert. Ăber das hier neu edierte Werk aus dem Jahr 1893 vermerkt der Inder Mohandas Karamchand Gandhi in seiner Autobiographie: "Tolstois 'Das Reich Gottes ist inwendig in euch' Ăźberwältigte mich. Vor der Unabhängigkeit des Denkens, der tiefen Moralität und Wahrheitsliebe dieses Buches schienen alle mir von Mr. Coates (einem befreundeten Quäker) gegebenen BĂźcher zur Bedeutungslosigkeit zu verblassen."
Jetzt liegt nach Ăźber hundert Jahren endlich wieder eine ungekĂźrzte Neuauflage vor. Der Ăbersetzer Raphael LĂśwenfeld berĂźcksichtigte 1894 in der ersten deutschen Ausgabe als Zusatz einen ursprĂźnglich vom Verfasser selbst erwogenen Titel: "Christi Lehre und die allgemeine Wehrpflicht." Es geht nicht um harmlose Erbauungsliteratur, sondern um die Wiedergewinnung eines subversiven Christentums, das keinen Pakt mit den Mächtigen eingeht und die herrschenden Besitzverhältnisse nicht segnet. Im Zentrum steht eine Fundamentalkritik von staatlicher Gewalt, Krieg und Militarismus:
"Fälle der Verweigerung der ErfĂźllung staatlicher Forderungen, die dem Christentum widersprechen, besonders Verweigerungen des Militärdienstes, kommen in letzter Zeit nicht nur in Russland, sondern Ăźberall vor. ... Die Sozialisten, die Kommunisten, die Anarchisten mit ihren Bomben, Aufständen und Revolutionen sind den Regierungen lange nicht so gefährlich, wie diese vereinzelten Menschen ... Die revolutionären Feinde kämpfen von auĂen mit der Regierung. Das Christentum aber ... erschĂźttert von innen alle Grundlagen der Regierung."
Tolstoi-Friedensbibliothek
Reihe A, Band 9 (Signatur TFb_A009)
Herausgegeben von Peter BĂźrger