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Was sollen wir denn tun?

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Wenige Jahre nach seiner Hinwendung zu "Christi Lehre" erhĂ€lt Leo N. Tolstoi als Mitarbeiter der Moskauer VolkszĂ€hlung Anfang 1882 erschĂŒtternde Einblicke in die elende Lage der Besitzlosen. Der begĂŒterte Graf verliert die Illusion, eine karitative Hilfe von oben könne das Geschick der Armen wenden. In seiner Schrift "Was sollen wir denn tun?" (geschrieben 1882-1886) beleuchtet er schonungslos den Widerspruch des eigenen Lebens:

"Ich gehöre der Klasse von Menschen an, welche durch allerlei KunststĂŒcke dem arbeitenden Volk das Notwendigste raubt, und die sich durch solche KunststĂŒcke den nie ausgehenden verzauberten Rubel verschafft haben, der diese UnglĂŒcklichen dann wieder verfĂŒhrt. Ich will den Menschen helfen, und daher ist es zu allererst klar, dass ich zunĂ€chst einmal die Menschen nicht plĂŒndern, sie dann aber auch nicht verfĂŒhren darf. Statt dessen habe ich mir durch die kompliziertesten, listigsten, bösartigsten, durch Jahrhunderte bewĂ€hrten Kunstgriffe die Lage des Besitzers des nie ausgehenden Rubels geschaffen, das ist die Lage, bei der ich, ohne dass ich selbst je etwas zu arbeiten brauche, Hunderte, ja Tausende von Menschen zur Arbeit in meinem Dienste zwingen kann, was ich auch tue; und ich bilde mir ein, dass ich die Menschen bemitleide, dass ich ihnen helfen will. Ich sitze einem Menschen auf dem Nacken, habe ihn erdrĂŒckt und verlange von ihm, er solle mich tragen. Dabei suche ich alle Menschen und mich selbst davon zu ĂŒberzeugen, dass ich den Menschen sehr bemitleide, wĂ€hrend ich nicht daran denke, abzusteigen; ich behaupte, seine Lage durch alle nur möglichen Mittel erleichtern zu wollen, nur nicht durch das eine, dass ich von seinem Nacken heruntersteige."

Tolstoi-Friedensbibliothek

Reihe A, Band 7 (Signatur TFb_A007)

Herausgegeben von Peter BĂŒrger