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1000 Places To See Before You Die : Die Lebensliste für den Weltreisenden

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EINLEITUNG

Die Welt neu betrachtet

Während ich diese Einleitung schreibe, sind meine Nichten gerade in Island. Vielleicht genießen sie soeben ein heißes Bad in der Blauen Lagune, fahren unter der Mitternachtssonne durch eine weite, karge Landschaft von eigenartiger Schönheit, begegnen auf einer Landstraße kleinen Pferden mit Wuschelmähne oder bestellen Essen von einer Speisekarte, deren Sprache sie kaum aussprechen können. Sie schicken mir von unterwegs E-Mails, aktualisieren ihren Facebook-Status und ihre Instagram-Fotos, und ich spüre ihre Begeisterung und ihr ehrfürchtiges Staunen. Sie werden aufgekratzt heimkehren und gespürt haben, wie das Reisen ihnen die ganze Welt öffnete und sie zugleich all das wieder neu wertschätzen ließ, was sie daheim zurückgelassen hatten. Reisen hat wirklich keine Nachteile – außer ein bisschen Jetlag und einem leeren Bankkonto. Eigentlich ein kleiner Preis für eine unbezahlbare Erfahrung!

Die Reiselust lag mir schon immer im Blut. Eine Stunde in einem Flugzeug (oder einem Bus, Tuk-Tuk, Auto oder Schnellzug) war für mich – frei nach Winston Churchill – nie eine verschwendete Stunde. Schon als Kleinkind wusste ich, dass immer dann die große Welt auf mich wartete, wenn unsere Familie sich in den Kombi stapelte, um ans Meer zu fahren. Beim „Risiko-“Spielen auf dem Wohnzimmerfußboden sah ich auf dem Spielbrett zum ersten Mal Orte mit Namen wie „Madagaskar“ und „Siam“. Mich lockte nicht das Ziel des Spiels, nämlich die Beherrschung der Welt, sondern mich lockten die exotischen Orte auf diesem großen Planeten, die mir romantisch und märchenhaft vorkamen.

Mein erstes richtiges Aha-Erlebnis hatte ich mit 15, als meine Eltern mir erlaubten, eine Highschool-Freundin zu besuchen, die mit ihrer Familie in Santo Domingo, der Hauptstadt der Dominikanischen Republik, lebte. Damals war ich zu naiv, die Wichtigkeit dieser schönen und historisch wertvollen Stadt zu begreifen, in der es – weil sie der erste koloniale Außenposten in Amerika war – alles hier zum ersten Mal gegeben hatte: die erste Straße, den ersten Dom, die erste Festung. Aber immerhin trafen mich meine eigenen „ersten Male“ dort mit Macht: mein erstes Eintauchen in eine fremde Sprache und Kultur, meine erste Begegnung mit Salsa und Merengue (deren pulsierenden Sound man überall hörte), meine ersten Avocados direkt vom Baum, meine erste Gitarrenstunde. Meine Liebe für die Latino-kultur wurde damals, bei diesem prägenden Aufenthalt, geboren. Erst neulich bin ich wieder in Santo Domingo gewesen – es war, als würde ich meiner ersten großen Liebe wiederbegegnen, so sehr strömten vergessene Erinnerungen auf mich ein. Die Stadt war, wie ich, gewachsen und hatte sich bis zur Unkenntlichkeit verändert, aber sie erinnerte mich daran, wie ich damals mit weit aufgerissenen Augen in der Fremde ankam und mit einer Neugier wieder wegfuhr, die seither stets hellwach ist. Wie schon Herman Melville in Moby Dick schrieb: „Mich aber zieht und zerrt es unaufhörlich in die Ferne.“

Ich kehre selten an Orte zurück, an denen ich schon gewesen bin – es gibt einfach zu viele Orte, die ich noch nicht kenne. Immer, wenn ich gefragt wurde, was meine schönste Reise war, sagte ich „die letzte“, weil sie mir noch am präsentesten war. Inzwischen denke ich aber, ich sollte eher „die nächste“ sagen. Bei mir ist immer eine nächste Reise – oder vier davon – in Planung.

Ich bin mein eigener bester Kunde, denn ich lasse mich von der Da-musst-du-sofort-hin-Stimmung von 1000 Places gern anstecken und habe seit der Erstauflage des Buches 2003 weitere Orte gesammelt, die in die überarbeitete Ausgabe eingeflossen sind. Ich nahm die Erstausgabe der 1000 Places komplett auseinander und schrieb einen Großteil der Informationen neu – eine neue Hommage an die Vielfalt der Welt. Anstatt einzelne Orte zu nennen, fasste ich nun manchmal zwei oder mehr Orte zu einem einzelnen, umfassenderen Eintrag zusammen. In so manchem Fall ergab dies fast eine fertig ausgearbeitete Minirundreise – und zugleich konnte ich so neue Abenteuer einfügen. Derart fanden etwa auch Ghana, Nicaragua und Südkorea, die Mani-Halbinsel in Griechenland, die Seen in Chile, der Goldene Tempel von Amritsar in Indien, das nostalgische Shaker-Dorf in Kentucky und die Mendoza-Weingegend in Argentinien Eingang ins Buch.

Diese zweite Liste der 1000 Ziele fertigzustellen war sogar noch aufregender und Furcht einflößender als bei der Erstausgabe. Denn wie viele Möglichkeiten würde ich noch bekommen, meine Lebensliste in Ordnung zu bringen? Oder freie Hand zu haben, eine vielfältige, alles umfassende Liste mit fernen Zielen zusammenzustellen – das von Menschen gemachte Wunder von Petra und die überwältigende Naturschönheit von Patagonien zusammen mit hedonistischeren Schönheiten wie Trancoso in Brasilien oder der Seychelleninsel La Digue? Das war eine echte Herausforderung, ich folgte meinem Herzen und meinem Bauchgefühl, trachtete nach einer tollen Zusammenstellung großartiger und bescheidener Orte, bekannter und unbekannter. Umso dankbarer bin ich, dass dieses überarbeitete Buch nun in frisch aktualisierter Ausgabe vorliegt.

Mein Leben als Reisende hat mich mit einer inneren Antenne ausgestattet, die immer Alarm schlägt, wenn ich zu einem besonders schönen, inspirierenden Ort komme – manchmal bleibt einem dort die Spucke weg (an den donnernden Victoriafällen in Sambia und Simbabwe, beim Military Tattoo im Schatten von Edinburgh Castle); manchmal sind Orte einfach zeitlos und ungewöhnlich und warten still auf unsere Aufmerksamkeit (die desolaten, windigen Aran-Inseln vor der irischen Westküste, ein Sonnenuntergang im Mekongdelta).

Aber diese Liste spiegelt viel mehr als bloß mein Bauchgefühl für die Welt und ihre Wunder. Die Menge an Recherchen, die ich vor jeder Tour durchführe, würde alle überraschen, die denken, mit dem Kauf des Tickets sei alles getan. Ich lese alles, was ich kriegen kann, und bin noch nie einem Reiseführer begegnet, den ich nicht mochte: Ich finde immer kleine Informationen, die mich interessieren, und ich freue mich an den begeisterten Worten der Autoren, wenn sie eine Entdeckung oder ein Geheimnis teilen – ich hoffe, das merken Sie auch bei mir!

Das Buch ist eine bunte Mischung all der Wunder, die in der Welt auf uns warten – und es zeigt, dass es selbst in diesem globalisierten, gleichmacherischen Zeitalter noch staunenswerte und wundervolle Dinge zu betrachten gibt. Ich hoffe, ich konnte jedem meiner 1000 Orte dieses ganz simple Gefühl des Staunens mitgeben – so ein Gefühl, wie es meine Nichten gerade in Island haben oder wie ich es auf meiner Reise nach Santo Domingo empfand, als ich zum ersten Mal begriff, wie weit ich in die Ferne schweifen konnte.

Irgendjemand hat mal gesagt: „Man kann nicht engstirnig sein, wenn man einen dicken, fetten Reisepass besitzt.“ Ich glaube, dass Reisen uns zu besseren Menschen und zu bewussteren Weltbürgern macht. Ich betrachte es als Privileg und Geschenk – es muntert mich auf, macht mich leichter, erweitert meinen Horizont. Das Wichtigste – und Einfachste – ist: Reisen bringt uns Freude. Was hält Sie also zurück? Falls Sie für Ihre nächste Reise noch auf eine spezielle Gelegenheit warten, bedenken Sie Folgendes: Diese spezielle Gelegenheit wird der Tag sein, an dem Sie vom Sofa aufstehen und zum Flughafen fahren.