Hamburg, das scheint aus Berliner Perspektive heute nur noch schwer vorstellbar, war zur Erzählzeit, den frĂźhen Neunzigerjahren, das popkulturelle Zentrum Deutschlands. Hier saĂen die wichtigen Verlage und Werbeagenturen, die es damals tatsächlich noch gab. Vor allem aber die Musikindustrie â und unterhalb dieser Corporate Culture war in St. Pauli aus dem Erbe von HafenstraĂe, Punk und Roter Flora eine die deutsche Musiklandschaft prägende Subkultur entstanden: die sogenannte Hamburger Schule. Radikal feministische Diskurse, Gender Trouble, Riot Girls und die ständige Sorge, wie man von Hamburg aus mit kulturellen Mitteln dem wĂźtenden Mob in der ehemaligen DDR, zwei Jahre nach dem Mauerfall, begegnen kĂśnnte; also all das, worum es in der Berliner Republik 27 Jahre
später noch immer geht. Im Hamburg der frĂźhen Neunziger wurde all dies bereits durchlebt â und ausgiebig diskutiert. Die Bilder, die Christian Werner in einem Visual Essay beiträgt, zeigen beide Seiten dieser Stadt: das bĂźrgerlich-saturierte der libertären Hanse und das harte Pflaster des Milieus; das ist der Humus, auf dem einst, es ist noch gar nicht lange her, eine der wichtigsten kulturellen StrĂśmungen des 20. Jahrhunderts entstanden ist.