Am gleichen Abend, an dem die GPU in Moskau eine Wohnung stürmte, um Leo Trotzki aus dem Verkehr zu ziehen, saß ich in melancholischer Stimmung mit einer Kaffeetasse in der Hand vor dem Tresen eines Chicagoer Cafés.
Mein Kaffeekonsum war eine Folge des ziemlich genau acht Jahre zurückliegenden Beschlusses unserer Regierung, die Amerikaner für den Rest ihres Lebens zur Trockenheit zu verurteilen. Natürlich hielt sich außer Abstinenzlern kein Mensch an dieses Gesetz: Trotz der Prohibition wurde im Geheimen so viel geschluckt wie immer. Das organisierte Verbrechen schmuggelte den Sprit aus Kanada, aus der Karibik und aus Mexiko ins Land.
Auch Harry Flynn (das bin ich) wusste einen guten Schluck zu schätzen. Außerdem qualmte er, wenn Alkohol im Spiel war, wie ein Schlot – wie alle Männer vor dem Aufkommen der politisch korrekten Weicheier, die Jahrzehnte später gestandene Schluckspechte in die Einsamkeit ihrer vier Wände vertrieben und die Kneipenkultur vernichteten.
Aber ich schweife ab. Mir war an diesem Abend melancholisch zumute, als kurz nach mir ein Gast eingetreten war, der sehr heruntergekommen wirkte: stoppelbärtig, blass, mit wässerigen Augen und zitternden Händen. Er hustete, und als er seine Schiebermütze abnahm und ich sein schütteres blondes Haar sah, sah ich erschreckt, dass ich ihn kannte...
HARRY FLYNN – PRIVATE EYE: hard-boiled Krimis aus dem Chicago der 1920er Jahre von Ronald M. Hahn!